Monthly Archives: January 2021

Bücher: Andrea Petkovic: “Wenn ein Tag nicht 28 Stunden hat, ist es dann noch ein Tag?”

Foto: Jabs

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Klar, erscheinen schöne Mädels ganz besonders sympathisch, wenn sie sprachgewandt und auch noch sportlich sind. Kommt noch Intelligenz dazu… 
In diesem insgesamt sehr professionell und außerordentlich selbstbewusst erscheinendem  Interview Andrea Petkovics gibt die Frau auf angenehme Weise Fehler und Unzulänglichkeiten zu. Außerdem bemerkt sie, dass sie sich im Verlauf des Gesprächs mitunter widerspricht. Sowas zeugt einfach davon, dass diese Tennisspielerin sehr reflektiert spricht. Das ganze Interview kann man als Hochgenuss anhören.
(Und ich erinnere mich, dass sie vor einiger Zeit mit dem schwerkranken, inzwischen verstorbenen Darmstadt 98-Edelfan Johnny Heimes (“Du musst kämpfen”) befreundet war.)
Zitate A. Petkovic:
“Ich muss andere Wege finden, um zufrieden, um glücklich zu sein… Jetzt bin ich soweit zu sagen, ich kann im Prozess selbst Glück finden und ich kann in einem Spiel, das ich verliere, Zufriedenheit finden… Oder ist es schlicht und ergreifend der Körper, der mich im Stich lässt?… Jetzt habe ich den ​G​eist, der mich weit bringen könnte, aber mein Körper lässt mich im Stich. Das ist, was ich meine: Gott hat Humor.”
“Ich bin in dieser privilegierten Situation, weil ich eben irgendwie dazu gehöre. Und es ist so frustrierend, weil andere vielleicht genauso talentiert oder vielleicht mehr talentiert sind als ich. Und dann besitzen sie eben nicht dieses Netzwerk wie ich. Nicht dieses Privilegiert​s​ein, nicht die Möglichkeiten, nicht nur die finanziellen, sondern alles, was dieser Rattenschwanz, der damit einhergeht, bedeutet.” 
“Das ist natürlich auch wahnsinnig arrogant. Das Einzige, das ich zu meiner Verteidigung sagen kann ist, dass ich mir alles sehr hart erarbeitet habe, was ja auch jeder sagt.”
 
Die Fau spielt hervorragend Tennis, hat ein Buch geschrieben, moderiert im ZDF auch die Sportreportage und war Gast im Literarischen Quartett (https://www.zdf.de/kultur/das-literarische-quartett/petkovic-zu-delillo-ltq-100.html).

Bücher: “Machandel” von Regina Scheer

Foto: Jabs

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Ein genüsslich zu lesender Roman. Den Zeitreisen Regina Scheers zu folgen macht viel Freude. Geschichte wird anschaulich.
Die Autorin vermag das Dorfleben Mecklenburgs in den Achtzigerjahren treffend zu beschreiben. Da machten es sich Berliner Künstler und Intellektuelle dort ganz gemütlich. Die geschilderten und beleuchteten Verhältnisse, Intrigen und kleinen Geheimnisse erinnern auch an den famosen Film “Das weiße Band” von Michael Haneke.
Zitate: “Man muss nicht in einer großen Stadt leben. Alles, was geschehen kann, ist auch in Machandel geschehen. Clara hat immer viel gefragt, aber so sind wir hier im Norden nicht, wir reden nicht viel. Man sieht doch alles.”
“Aber Glück… Was ist Glück? Solche großen Worte haben wir hier oben nicht für das Leben.”
Sehr treffend und atmosphärisch dicht beschreibt Regina Scheer auch die Befindlichkeiten der Zeit vor und nach der politischen Wende 1989. Man kann vielleicht langsam verblassende Erinnerungen auffrischen.
Zitate: ” Für eine kurze Zeit, ein paar Wochen, die mir im Nachhinein wie Jahre vorkommen, war alles in Bewegung, schien alles möglich. Wie nach einer langen Bewegungslosigkeit, die die Glieder steif gemacht hat, probierten wir das Aufstehen und Gehen, ungewohnte Bewegungen. Nicht ohne Schmerz, nicht ohne Angst, aber erstaunt, dann erfreut und schließlich wie in einem Glücksrausch begriffen wir, dass wir das Volk waren, wir selbst, und dass wir uns bewegen konnten.”
“Viele ältere und alte Lehrer waren da, die ihren Beruf liebten, sich aber dafür schämten, einem Bildungssystem gedient zu haben, dass junge Menschen verbogen, zu Opportunismus erzogen, das Feigheit belohnt und Aufrichtigkeit ausgegrenzt hatte.” 
Wenn man über die jüngste Vergangenheit in der DDR schreibt, kommt man um das Thema Stasi kaum herum.
Zitat: “Die Spitzel sind ihre Opfer, denen Niedertracht und Gemeinheit abverlangt wurden, deren Schwächen benutzt wurden, die in diesem Apparat ihren Halt sahen. Der Abgrund, in den die gerutscht sind, als ihre Welt zusammenbrach, muss eine Art Hölle gewesen sein. So dachte ich jedenfalls, bis mir einige ehemalige Mitstreiter begegneten, deren IM-Namen ich aus meinen Akten kannte und die taten, als wäre nichts gewesen. Ach, ich will mein Leben nicht vergiften lassen durch das Gefühl, denen ausgeliefert gewesen zu sein.”
Selbstredend wird die Sympathie für dieses Werk größer, wenn die Handlung dann auch in der eigenen Wohngegend spielt und man glaubt einige Figuren auch noch zu kennen. Esc wird sehr realistisch. Und die geschilderten Situationen kenne ich einfach, habe sie in ähnlicher Form selbst erlebt.
Nicht so spannend fand ich den Abschnitt über die persönlichen Verwicklungen eines Romanprotagonisten um die Verhaftung Ernst Thälmanns, die geradezu seziert wird. Da erschlägt mich die Summe der historischen Interna. Klar, es ist sinnvoll für die Erzählung, um den Charakter einer Figur zu beleuchten. Aber mir ist das einfach zu viel “Nebengeräusch”, nicht so interessant.
Das Buch bereitet insgesamt pures Lesevergnügen! Es liest sich sehr gut. Ist das nicht schönstes Lob?

Kunst: Bilder aus der Heimat

Foto: Jabs

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102-Gerald Narr

Der Berkholzer Künstler Gerald Narr hat ein sehr schönes Aquarell zum Thema Schönheit der Uckermark gemalt: “Von Adel? Von Berlin!”

Fotografie: Lars Eidinger, der Fotograf…

Foto: Jabs

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Der Bildband “Autistic Disco” des großartigen Mimen wird mir etwas zu viel und stark hochgejubelt!. Ich finde die Fotos nicht gerade umwerfend.

Uckermark: Prenzlauer Lyzeum

Lyzeum-Prenzlau-Untersekunda-1925 Lyzeum-Prenzlau

Prenzlau sollte 1823 ein bürgerliches Erziehungsinstitut für die Töchter der Stadt geschenkt werden.

Grundsätze des Lyzeums waren:
1. Ausbildung der weiblichen Jugend für das häusliche bürgerliche Leben
2. es gibt eine Klasse für den Elementarunterricht und eine andere für den reiferen bürgerlichen Unterricht
3. der Unterricht findet von Montag bis Sonnabend von 8 bis 12 und von 14 bis 16 Uhr statt
4. der Etat wird aus Mitteln der Mühlmannschen Stiftung, aus Kommunalmitteln und Schulgeld bestritten
5. es soll anfangs 70 Schülerinnen, bevorzugt aus dem mittleren Bürgerstande, geben
Es wird folgendes angemerkt:
“Leider zeigt die Erfahrung, dass es immer noch Familienväter gibt, die Schul- und Religionsunterricht für gleichgültig halten, und ihre Kinder in Müßiggang und in der Unwissenheit aufwachsen lassen, gegen diese wird … Strenge angewendet,und es werden nicht allein ihre Kinder zwangsweise eingeschult, und das Schulgeld von ihnen durch Execution eingezogen, sondern es wird auch Geld- und selbst Gefängnisstrafe  gegen sie angewendet werden…”