“Machandel” von Regina Scheer

Foto: Jabs

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Ein genüsslich zu lesender Roman. Den Zeitreisen Regina Scheers zu folgen macht viel Freude. Geschichte wird anschaulich.
Die Autorin vermag das Dorfleben Mecklenburgs in den Achtzigerjahren treffend zu beschreiben. Da machten es sich Berliner Künstler und Intellektuelle dort ganz gemütlich. Die geschilderten und beleuchteten Verhältnisse, Intrigen und kleinen Geheimnisse erinnern auch an den famosen Film “Das weiße Band” von Michael Haneke.
Zitate: “Man muss nicht in einer großen Stadt leben. Alles, was geschehen kann, ist auch in Machandel geschehen. Clara hat immer viel gefragt, aber so sind wir hier im Norden nicht, wir reden nicht viel. Man sieht doch alles.”
“Aber Glück… Was ist Glück? Solche großen Worte haben wir hier oben nicht für das Leben.”
Sehr treffend und atmosphärisch dicht beschreibt Regina Scheer auch die Befindlichkeiten der Zeit vor und nach der politischen Wende 1989. Man kann vielleicht langsam verblassende Erinnerungen auffrischen.
Zitate: ” Für eine kurze Zeit, ein paar Wochen, die mir im Nachhinein wie Jahre vorkommen, war alles in Bewegung, schien alles möglich. Wie nach einer langen Bewegungslosigkeit, die die Glieder steif gemacht hat, probierten wir das Aufstehen und Gehen, ungewohnte Bewegungen. Nicht ohne Schmerz, nicht ohne Angst, aber erstaunt, dann erfreut und schließlich wie in einem Glücksrausch begriffen wir, dass wir das Volk waren, wir selbst, und dass wir uns bewegen konnten.”
“Viele ältere und alte Lehrer waren da, die ihren Beruf liebten, sich aber dafür schämten, einem Bildungssystem gedient zu haben, dass junge Menschen verbogen, zu Opportunismus erzogen, das Feigheit belohnt und Aufrichtigkeit ausgegrenzt hatte.” 
Wenn man über die jüngste Vergangenheit in der DDR schreibt, kommt man um das Thema Stasi kaum herum.
Zitat: “Die Spitzel sind ihre Opfer, denen Niedertracht und Gemeinheit abverlangt wurden, deren Schwächen benutzt wurden, die in diesem Apparat ihren Halt sahen. Der Abgrund, in den die gerutscht sind, als ihre Welt zusammenbrach, muss eine Art Hölle gewesen sein. So dachte ich jedenfalls, bis mir einige ehemalige Mitstreiter begegneten, deren IM-Namen ich aus meinen Akten kannte und die taten, als wäre nichts gewesen. Ach, ich will mein Leben nicht vergiften lassen durch das Gefühl, denen ausgeliefert gewesen zu sein.”
Selbstredend wird die Sympathie für dieses Werk größer, wenn die Handlung dann auch in der eigenen Wohngegend spielt und man glaubt einige Figuren auch noch zu kennen. Esc wird sehr realistisch. Und die geschilderten Situationen kenne ich einfach, habe sie in ähnlicher Form selbst erlebt.
Nicht so spannend fand ich den Abschnitt über die persönlichen Verwicklungen eines Romanprotagonisten um die Verhaftung Ernst Thälmanns, die geradezu seziert wird. Da erschlägt mich die Summe der historischen Interna. Klar, es ist sinnvoll für die Erzählung, um den Charakter einer Figur zu beleuchten. Aber mir ist das einfach zu viel “Nebengeräusch”, nicht so interessant.
Das Buch bereitet insgesamt pures Lesevergnügen! Es liest sich sehr gut. Ist das nicht schönstes Lob?