Category Archives: Bücher

Bücher: Judith Schalansky: “Verzeichnis einiger Verluste” – Das schönste Buch

Fotos: Jabs

Fotos: Jabs

 

Das sind zwölf wahnsinnig interessante und hervorragend geschriebene Geschichten.
Judith Schalansky macht auch wirklich richtig schöne, oft preisgekrönte Bücher! Das “Verzeichnis einiger Verluste” brilliert mit dem Druck auf geschmackvollem Papier und großartigen, fast geheimnisvollen Illustrationen.
Alle Beiträge haben den gleichen Umfang – 18 Seiten, sind aber völlig unterschiedlich geschrieben. Mal wissenschaftlich geprägt, dann in altertümlichem Idiom, dann vor Fremdwörtern strotzend oder in angenehm unaufgeregter Alltagssprache.
Auf die total verschiedenen Themen des Buches muss man sich einlassen, sie sind unglaublich akribisch recherchiert und mitunter ziemlich abwegig. Vieles habe ich vom Sachverhalt her überhaupt nicht verstanden. Unaufdringlich wird hier Wissen vermittelt, auf etliche blitzgescheite Gedanken käme man ohne diese Arbeit gar nicht. Das faszinierende ist aber, dass es immer fesselt, man wird zum langsamen und damit nachdenklichen mitdenken gezwungen. Die Autorin bezaubert mit einem umfassenden Wortschatz der deutschen Sprache. Viele scheinbar verlorene Wörter werden aus der Versenkung des Vergessens gehoben.
Das Lesen bereitet unbändigen Spaß!
Ein sprachlicher Höhepunkt ist die fantastische Beschreibung eines Spaziergangs den Verlauf des  Flüsschens Ryck entlang. Das ist Naturkunde in schönster Form – mit einer Sprachgewalt, die in ihrer Präzision ihresgleichen kaum findet. Die Schriftstellerin umgarnt ihre Leser geradezu mit einem kraftvollen Feuerwerk unserer Muttersprache.
Zitat: “Man braucht ja nichts. Nichts braucht man wirklich. Höchstens eine Frau.”
 
Judith Schalansky sinniert bei einer Wanderung am Ryck über das Wesen der Greifswalder: 
„Neugier allein hat in dieser Gegend noch niemenden zum Reden verführt.
Die Menschen hier sind ernst und gleichgültig – 
wie in einem namenlosen Kummer vergraben – 
und kommen wie diese Landschaft gut ohne Worte aus.“ 
 
PS: Klugscheißer und verhinderte oder unterrichtende Deutschlehrer könnten anmerken, dass Frau Schalansky des Öfteren “war gewesen” als Formulierung verwendet, obwohl es sich nicht um einen Satz in der Vorvergangenheit handelt. Falsch ist auch der Plural “Worte”, wenn es sich um die Mehrzahl von “Wort” handelt und damit nicht Gedanken, sondern um die kleinste grammatikalische Einheit in Sätzen handelt.   

Bücher: Jens Sparschuh: “Das Leben kostet viel Zeit”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein trauriger Roman – Geschichten aus einem Altersheim. Das Buch hat mich nicht überzeugt, einige Episoden erscheinen mir zu banal, die Sprache ist ab und an zu bemüht, Ungenauigkeiten stören (“Walfische” u. a. m.)

Zitate:

“Das Leben, so lautete sein erstes, vorläufiges Fazit, kostet viel Zeit. Dementgegen stand Fazit Nr. 2 – ebenfalls noch provisorisch, aber auch nicht völlig verkehrt: Kaum hat man sich daran gewöhnt und ein bisschen eingelebt im Leben, hört es schon wieder auf.”
“Jedes Leben ist ein Roman. Und der Verfasser ist unbekannt.”

Bücher, Kunst: Juli Zehs “Unterleuten” als sechsstündiges Hörspiel!

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Heute ab 12 Uhr im RBB Kulturradio:
Oh, in dem Tagesspiegel-Artikel wimmelt es nur so von modischen Anglizismen! Für alle alten Leute: “Binge-Listening” ist wohl das übermäßige, intensive Zuhören.
Man kann das Hörspiel auch “nachhören”:

Bücher: Juli Zeh: “Unterleuten”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Der Roman wurde mir von unzähligen Freunden empfohlen. Nun habe ich das Buch endlich gelesen: ein wahres Meisterwerk! Die Geschichten werden so schön und klug erzählt, dass das Lesen jeder Seite große Freude und immer Genuss bereitet. 
 
Zitate:
“Jenseits von jugendlichen Leidenschaften begegnete man der Welt am besten mit gut gekühltem Pragmatismus.”
“Männer besaßen keine Persönlichkeit, sie waren alle gleich. Wer echtes Leben wollte, musste sich mit Frauen umgeben.” 
“Sein halbes Leben hatte Gerhard an dem Widerspruch zwischen Denken und Handeln gelitten. Er hatte sich als Intellektueller gefühlt und versucht, darin eine Auszeichnung zu sehen, die für andauerndes Scheitern entschädigte. Insgeheim war ihm schon lange klar gewesen, dass der Satz “Der Klügere gibt nach” eine Falle darstellte und dass es sich beim Zusatz “bis er der Dumme ist” nicht um einen Witz, sondern um eine logische Konsequenz handelte.”
“Vielleicht, dachte Arne, wurden Gefühle einfach nicht so alt wie Menschen. Ab einem gewissen Alter lebten Ehepartner wie Mitbewohner in einer WG, falls sie nicht längst geschieden waren. Kinder und Eltern hörten auf, einander zu mögen, besuchten sich trotzdem und waren froh, wenn der andere wieder verschwand. Freunde verloren sich aus den Augen, Nachbarn verwandelten sich in Feinde. Liebschaften wurden lästig, alte Schulkameraden peinlich, und selbst ein Haustier fing irgendwann an zu nerven. Jenseits von jugendlichen Leidenschaften begegnete man der Welt am besten mit gut gekühltem Pragmatismus.”