Monthly Archives: January 2025

Diverses: Kindheitserinnerungen

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Weshalb diese Erinnerungen gerade jetzt auftauchten, kann ich nicht sagen:

Ich wuchs in einem klitzekleinen uckermärkischen Dorf ohne Kirche, Kneipe und Fußballplatz auf. In meiner Kindheit fuhr der Bus dreimal pro Woche in die sechs Kilometer entfernte Kreisstadt.
Wenn man mit dem Rad nach Prenzlau fuhr, passierte man am Stadteingang die große Kaserne der Roten Armee.
Dort wurden wir Kinder oft von den Sowjetsoldaten durch den Zaun angesprochen. Wir sollten den Wehrpflichtigen irgendwie Schnaps besorgen. Mit den korrekt abgezählten Münzen gelang das irgendwie. Wir hatten großes Mitgefühl mit den jungen Männer, die hunderte, tausende Kilometer von ihrer Heimat in der DDR den langen Grundwehrdienst ableisten mussten. Immer wieder fragten sie uns, ob wir für 20 (?) Mark eine Armbanduhr sowjetischer Produktion kaufen wollten: “Du Uhri?” Diese Zeitmesser trugen abenteuerliche Markennamen , wie Tschaika (Möwe) oder Pobieda (Sieg) und bestachen mit einer Datumsangabe auf dem Zifferblatt. Manchmal gaben wir unser mühevoll gespartes Geld, das wir vielleicht zum Geburtstag geschenkt bekamen oder in den Ferien mit dem Einsammeln von Kartoffelkäfern verdient hatten, dafür aus. Der Stolz auf den Besitz einer solchen Uhr schwand mitunter bald, da wir bemerkten, dass man die Dinger schon nach wenigen Tagen Gebrauch immer wieder nachstellen musste.
Sehr interessant war immer der Besuch der Verkaufsstelle in der Kaserne, im Magasin. Die Eltern kauften dort Fischkonserven, oft wohlschmeckende Ölsardinen. Für Kinder gab es selten und als große Belohnung Bonbons, die Konfekt hießen. Die einzeln sorgsam eingewickelten Leckereien waren eine Mischung von herkömmlichen Bonbons und Pralinen. Völlig erstaunt sahen wir, wie die Verkäuferinnen dann an einem Abakus farbige Kügelchen hin und her schmissen und schließlich den Einkaufspreis nannten.
An den Wochenenden konnte man sowjetische Offiziersfamilien an unserem Badesee beobachten. Der Rathssee liegt an einem Waldrand und ist dort idyllisch in Grundmoränenhügel eingebettet. Ein Dorado für Erholungssuchende. Die Offiziersfrauen lagen teilnahmslos auf Decken und aßen. Sie waren wohlbeleibt in Bikinis gepresst und auffällig stark geschminkt. Alle trugen Sonnenbrillen mit einem Papierschnipsel auf der Nase, der vor Sonnenbrand schützen sollte. Die Offiziere in knappen Dreiecksbadehosen waren zumeist sehr athletisch gebaut und spielten unentwegt Volleyball. Diesen Sport beherrschten sie tadellos. Technisch perfekt wurde der Ball von einem in der Mitte stehenden Zuspieler an die im Kreis aufgestellten Kameraden gepasst, die mit anmutig anzuschauenden Schmetterbällen glänzten. War das eine frühe Vorstufe von Beachvolleyball?
Weitere Begegnungen mit den Sowjetsoldaten hatten wir in der Grundschule. Dort besuchten uns manchmal Abordnungen, um von ihrem Dienst zu berichten. Wir wurden von unseren Russischlehrern angehalten, Brieffreundschaften mit Kindern zu beginnen, deren Adressen wir von den Soldaten erhielten.
Einmal im Jahr wurde ein Fest der russischen Sprache gefeiert. Dabei geriet ich überraschend in einen Chor, der zu Liederwettstreiten delegiert wurde. Wenn ich mich richtig erinnere, überstanden wir erfolgreich Entscheide auf Kreis- und Bezirksebene. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass ich überhaupt nicht singen kann. Als ich dem Russischlehrer das vor einem ersten Auftritt eröffnete, meinte er nur: “Das ist nicht schlimm. Du sprichst einigermaßen gut russisch und in der Singegruppe sieht es nicht gut aus, wenn da nur Mädchen mitmachen. Und du singst einfach nicht, machst nur den Mund auf und zu.” Also: schon damals Playback. 
Musik hören konnten wir gut. Also englische Beat-Musik. Alle mussten sich entscheiden: Beatles oder Rolling Stones? Ich Memme favorisierte die Bee Gees. In diesem Zusammenhang  fällt mir ein, dass nur die Wenigsten Massachusetts richtig schreiben konnten. 
Die damaligen Hits hörten wir aus Kofferradios, die wir oft als Jugendweihegeschenk von unseren Eltern erhielten. Sie kauften die batteriebetriebenen Transistorradios namens Alpinist, die nur Mittel-und Langwellensender empfangen konnten, Rotarmisten ab. Also war Radio Luxemburg auf UKW kein Thema, man musste sich mit dem Abhören Freiheitssender 904 oder dem Soldatensender 935 auf Mittelwelle begnügen. Der Empfang war dürftig, zumal wir Radio unter der Bettdecke versteckt hörten. Heute ist es peinlich, dass ich mir damals von meiner in Hamburg lebenden Tante zum Geburtstag Autogrammkarten von Schlagersängerinnen wie Conny Froboess und Connie Francis wünschte.

Bücher: Achim Bogdan: “Unter den Wolken”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein Buch, das mir von Freunden empfohlen wurde.
Ein interessanter Ansatz: Die jeweils höchsten Berge (Hügel) aller deutschen Bundesländer besteigen. Immer mit einem Partner, den der Autor mit der Bahn erreicht – löblich. Erste Skepsis kam auf. Alle Partner waren berühmte Zeitgenossen, die der Autor in seinem Beruf als Radiomoderator (bei Bayern 2) kennenlernte. Namdropping? Mehmet Scholl, Manuel Andrack, Felix Neureuther, Henning Scherf, Lars Riedel, Devid Striesow, Edgar Reitz, Rocko Schamoni, Kati Wilhelm, Margot Käßmann, Hans-Joachim Watzke, Judith Holofernes. Jedenfalls begann ich zu lesen. Wunderbar, dass Bogdahn glaubt, wie wohl alle Amateurkicker, wirklich alle Lebenssituationen mit Analogien aus dem Fußballsport erklären zu können. (Er hat sich als beinharter Fan vom TSV 1860 München den Künstlernamen “Sechzig” im Personalausweis eintragen lassen.)
Meine Neugier schwand aber. Bogdahn beschreibt seine Bahnfahrten sehr ausgiebig. Immer wieder werden die Bahnhöfe genannt, es geht andauernd um Zugverspätungen und Marotten von Mitreisenden. Großen Wert legt er auf die Dialekte der Regionen, in denen er sich befindet, und dann fallen ihm Ähnlichkeiten bei den Ortsnamen auf. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass alle möglichen Informationen im Buch untergebracht werden mussten. So viele Nebensächlichkeiten über Fußballvereine lenken von den Begegnungen mit den Wanderfreunden ab.
(Bogdan weiß zu berichten: “Der seltsamste Fußballverein in der DDR war für ihn Aktivist Schwarze Pumpe. Schwarze Pumpe (niedersorbisch Carna Plumpa)  ist ein Ortsteil von Spremberg in der Nähe von Hoyerswerda. Die Mannschaft war mal Mittelpunkt eines Sportskandals: 1970 wurd der zweiten Liga geschmissen und in die Bezirksliga verbannt. Der sozialistische Staat hatte nämlich Angst, von den Olympischen Spielen in München ausgeschlossen zu werden. Damals durften ausschließlich Amateure bei Olympia teilnehmen, auch im Fußball. Nun gab es aber im Osten Sportlerbrigaden, offiziell arbeiteten die Fußballer als Platzwart, Gärtner, Schlosser beim Verein, konnten so aber jederzeit trainieren. Sie waren verkappte Profis im Dienste staatlicher Betriebe oder Institutionen (Polizei, Armee, Staatssicherheit). Das war auch bei der Betriebssportgemeinschaft Aktivist Schwarze Pumpe der Fall, was Spione von der gegnerischen BSG Motor Warnowwerft Warnemünde herausgefunden hatten. Auch niederländische Sportfunktionäre sollen Wind davon bekommen haben, und damit fürchtete die DDR um die Olympiazulassung. Um einen Eklat zu vermeiden, wurde der Verein aus der Oberlausitz bestraft – ein Arbeiter-und Bauernopfer.”)
So musste der Leser den Eindruck gewinnen, dass der Autor alle irgendwie recherchierten Fakten zum Besten geben wollte, im Buch unterbringen wollte.
Das ließ das Lesen zäh und schließlich langweilig werden.

Kino, Mattscheibe: “Ida”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

“Ida” von Pawel Pawlikowski (geb.1957) konnte man vor Jahren schon in kleinen Kinos bestaunen. Dem in London (und anderen europäischen Städten) lebenden polnischen Filmemacher gelang damit ein großartiger Wurf!
Schon das Format ist heute ungewohnt – 4:3. Der Kameramann hat ungeheuer akribisch gearbeitet: Überall findet man ganz klare Horizontalen, Vertikalen, rechte Winkel. Alles bestechend schöne, glasklare Bildkompositionen. Die Gesichter immer spannungsreich aus der Mitte genommen. Die Ausschnitte stimmen millimetergenau (an einem Eisengitter im Hintergrund einer Szene einfach zu überprüfen). Als sehr angenehm empfand ich, dass die Szenen nicht so perfekt ausgeleuchtet wurden. Mich begeistert natürliches Licht, Nebel, Halbdunkel.
Großer Wert wurde auf die Musik gelegt. Klassik, Jazz, Volksweisen…
Die brillanten und strengen Schwarzweißbilder lassen der behutsam und langsam erzählten, scheinbar unspektakulären Handlung mit einem überraschenden Ende allen Raum.

Die Bilder aus dem Polen nach dem 2. Weltkrieg begeisterten mich ungeheuer. Zumal sie an die Besuche meines Großvaters Anfang der Sechzigerjahre in einem Dorf an der Weichsel in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern erinnerten. Diese abenteuerliche Reise erlebte ich mit meinem Vater in einem wunderschönen IFA F8.

Mattscheibe: “The Next Level”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

102-Osang

Alexander Osang schrieb das Drehbuch zu dieser Serie. Und Serien sind dieser Tage wohl “in Mode”. Für mich war es interessant, da ich die meisten Berliner Drehorte nun mal kenne. Es treten viele gute Schauspieler auf, die Hauptdarstellerin überzeugt mich aber nicht vollends. 
Und mir wurden zu viele Klischees bedient. Z. B. berlinern fast nur die Polizisten, zudem sind sie sehr unfreundlich und gucken im Dienst Fußball.​ 
Insgesamt wird aber eine sehr gute Geschichte erzählt, die zum Ende hin wahnsinnig an Tempo gewinnt (Teil 6!) Der Film ist schon sehenswert, da er einfach viele Geschichten​ erzählt.

​Filmzitat:
“Berlin würde gern New York sein, heißt es. In New York dagegen erzählen sie gern, ihre Stadt war in ihren besten Jahren so frei und wild gewesen wie Berlin jetzt. Vielleicht ist New York nicht mehr New York. Ganz sicher ist Berlin auch nicht mehr Berlin. Es gibt nur noch die Sehnsucht. Alle sehnen sich nach Unschuld, die Freiheit oder Möglichkeiten. Manche leben von dieser Sehnsucht, manche sterben an ihr.”

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Kunst: Armin Mueller-Stahl

Zeichnung: Jabs

Zeichnung: Jabs

Der zurecht gefeierte Mime und Künstler Armin Mueller-Stahl  ging in meiner Heimatstadt Prenzlau auch zur Schule, in die EOS Puschkin. 
Außerdem war er (oder sein Bruder Hagen) dort u. a. der Tanzschulenpartner meiner Schwiegermutter.
Heute lebt er nach einer langen Zeit in Kalifornien wieder in Deutschland und hat in der Nähe unseres Ostseefamiliendominizils Haffkrug im Nachbardorf Sierksdorf ein Anwesen. 
Es ist doch lustig, wie viele Nähen es gibt, mit denen man irgendwie angeben kann.