Foto: Jabs
“Es geht um mehr als nur Leben und Tod”
Campino schafft es in der Tat, zu erklären, wie die glühende Liebe zu einem Fußballverein funktioniert. Gerade der bewundernswerte, beinharte Fan des FC Liverpool taugt als ein prädestiniertes Beispiel für ein verrücktes Leben eines Anhängers einer Mannschaft, die auch ich sehr verehre. Einem völlig normalen Menschen zu vermitteln, wie ein Fußballfan tickt, ist übrigens ein Ding der Unmöglichkeit. In dieser Erzählung erahnt man nebenher auch, welche Magie dieser wunderschöne Ballsport entwickeln kann. Das verspüre auch ich ab und an, nein: viel zu oft.
Im Laufe meiner Lebensjahre ist mir der Sänger der Toten Hosen eigentlich noch sympathischer geworden, als er es als uriger Punk schon immer war.
Mit diesem Buch habe ich aber ein paar Probleme. Mir stockt der Erzählfluss zu oft. Campino streut ununterbrochen nebensächliche Informationen in den Text, die einfach uninteressant sind: Wer was aß und trank, wo saß, was anhatte, wohin blickte…
Lesenswert ist die frühe Familiengeschichte der Freges in Düsseldorf, Metzkausen und Cornwall. Zu viele Details machen diese Berichte aber dann doch etwas langweilig.
Das Reisetagebuch Campinos finde auch nicht gerade spannend. Er berichtet von Filmaufnahmen an den Drehorten von Wim-Wenders-Filmen in Nordamerika, bei denen er Kommentator war, dann schaut er sich in Großstädten wieder die Spiele seines Herzensvereins an, um sogleich wieder nach Europa zurück zu fliegen – nach Frankfurt/M., aber sofort weiter nach Neapel, um dort ein Champions-League-Duell zu besuchen. Seine wohl eher vernünftige Frau ermahnt ihn für solche Aktionen regelmäßig. Und das schlechte Gewissen äußert sich darin, dass Campino doppelte “Kompensationsgebühren” für die Flüge bezahlt. Er glaubt so, ein bisschen zu einem aktiven Umweltschützer zu werden. Man fliegt zu den Spielen und rettet nebenbei die Welt dabei ein bisschen. Mir erscheint es dekadent, dass man in einer Arbeitspause mal eben von was weiß ich wo nach Manchester fliegt (dahin gehen wohl die meisten Flüge von Deutschland nach England), um mit dem Taxi weiter nach Liverpool zu düsen, sich dort das Spiel ansieht, dann auf Einladung des Vereins oder des Teammanagers Klopp sich auf der eventuellen Siegesfeier in intimen Rahmen des LFC vergnügt und schließlich mit dem Sohn des Trainers zum Anwesen der Familie Klopp kutschiert, um dort den einen oder anderen Absacker zu nehmen. Des Nachts fährt man in das Hotel am Airport Manchester zurück.
Die Spielberichte der Saison 2019/20, in der die Elf von Anfield endlich wieder Meister wurde, sind heute nur noch für eingefleischte LFC-Fans von Belang.
Für die geneigten Fußballliebhaber liefert Campino interessante Interna aus dem Umfeld des LFC, sie kommen bei der Lektüre durchaus auf ihre Kosten. Er ist doch eng mit der Familie Jürgen Klopps befreundet, ist Kumpel und Trauzeuge Sami Hyypiäs, kennt Markus Babbel, Jerry Jeremies, Peter Crouch, Jerzy Dudek, Didi Hamann und Kalle Riedle gut.
Dennis Scheck hat “Hope Street” in seiner Literatursendung “Druckfrisch” für mich überraschend über den grünen Klee gelobt.
Anm.: Bei dem Buch stört es mich, dass die für den Schutzumschlag und den Leineneinband verwendete rote Farbe nicht das Rot des LFC ist, sondern eher ein Orange.
PS: Ich würde Campino gern die Frage stellen: Ist es nicht viel leichter ein Buch zu schreiben, wenn man nicht vom erfolgreichen Verkauf desselben abhängig ist? Er ist da sicher kein allzu großes Risiko eingegangen, da er finanziell bestimmt nicht darauf angewiesen ist. Zumal er davon ausgehen kann, dass die Toten-Hosen-Fans diesem Lietaturversuch garantiert wohlwollend entgegenkommen.
Die Toten Hosen (1994): Long way from Liverpool
My heart it gets so heavy
by the end of May,
but when it gets to August
you know I’ll feel okay.
I didn’t choose to be born here,
it’s just a freak of birth,
but before I die here
I wanna kiss that turf.
Cause it’s a long, long way from Liverpool,
where the boys go crazy and the girls are cool,
and no one sings like the Kop can do.
We love you.
The bread’s on the table,
the car’s in the drive.
but I don’t wanna stay here,
I just wanna survive.
I know I’ll never walk alone
and my favourite colour’s red,
as long as I’m so far away
I may as well be dead.
Zitat Jürgen Klopp auf seiner ersten Pressekonferenz in Anfield: “Es ist nicht wichtig, was die Leute denken, wenn du kommst. Es ist wichtig, was die Leute von dir denken, wenn du gehst.”