Ein wahres Kleinod: George Saunders “Herzlichen Glückwunsch übrigens”

Foto: Jabs

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Untertitel: Ein paar Gedanken zur Güte
 
Ein alter Sack, der die spannendsten Tage seines Lebens schon hinter sich hat, will den Jungen, die das Schönste noch vor sich haben, altersbedingt gewonnene Weisheiten aufzwingen. 
Es handelt sich um eine ungewöhnlich kurze Rede des so klugen und lebenserfahrenen Mannes, die dieser für eine Gruppe von jungen, brillanten Menschen, die gerade ihr Studium beendeten, zum Besten gibt. 
Es beginnt mit einer ewigen Frage: “Was würdest du in deinem Leben anders machen, wenn du heute die Möglichkeit hättest, einen anderen Weg zu gehen?” 
 
Dazu möchte ich anmerken, dass  ich die Antwort: “Also ich würde nichts anders machen” nur selten verstehe. 
Ich weiß nämlich wirklich nicht, ob ich überhaupt etwas noch mal so machen würde, wie damals. Schon als Schüler überlegte ich, wie ich die Mädels aus meiner Klasse auf mich aufmerksam machen könnte. Ich war weder der größte, noch der schönste oder lässigste. Also versuchte ich, die süßen Jungfern zu beeindrucken, indem ich fleißig lernte und den Anschein von Klugheit erweckte. Fazit: Ich galt als Streber. Dann begann ich intensiv zu trainieren, um als guter Sportler zu begeistern. Fazit: Mein Talent entsprach nicht meinem Anspruch. Dann ließ ich die Haare wuchern, um auszusehen wie die Idole aus dem Beat-Club. Fazit: Die flotten Feger aus der Klasse unter mir meinten nur, ich ähnle einem Fußballer von Hansa Rostock und nicht Jim Morrison. Die Namen der angebeteten wunderschönen blonden, schlanken, langbeinigen Zuckerschnuten verschweige ich bis heute. Die Liebe zu meinen guten Freunden blieb hingegen zeitlebens nicht unerwidert. Wobei sie genauso platonisch war, wie die zu den Mädchen.   
 
George Saunders erklärt in seinem kleinen Büchlein auf unglaublich eindrückliche Weise, worauf es im Leben eigentlich ankommt
Es geht schlicht darum, GÜTE zum Mittelpunkt seines Daseins zu machen. Nun ist dieser Begriff in seiner Bedeutung nicht glasklar, vielleicht sogar etwas schwammig. Wenn man Güte als Nächstenliebe begreift, könnte man diesen Lebensplan als christliches Ideal definieren. Aber vielleicht geht es um noch mehr: Ist Güte vielleicht nur friedvolles persönliches Existieren und inneres Wirken? Vielleicht geht man dabei nicht mal aktiv auf andere Menschen, wie bei der Nächstenliebe, zu? Ich habe vor vielen Jahren einen so großherzigen Menschen, eine Diakonisse aus West-Berlin,  kennengelernt, der man nur noch nacheifern wollte – es hat leider nicht vollständig geklappt. 
Jedenfalls fiel ich wenigstens nicht auf dem Gegenentwurf der puren Güte herein. Er besteht wohl  in der anscheinend dominierenden Lebensmaxime: Erfolg im Beruf, materieller Besitz, Selbstverliebtheit und Spaß ohne Unterlass haben. Wobei dieses Streben materiellen Reichtum, das Verreisen und lustige Feiern mitnichten ausschließt. Ganz wichtig: Haltet die Augen offen, lernt Menschen kennen und vor allem: verliebt euch! Aber im Alter werden solche Ideale ohnehin immer unwichtiger. Wenn Kinder den Alltag bereichern, verschieben sich die Wertigkeiten. Ich will nicht mehr Olympiasieger werden – ja, ich kann es gar nicht, konnte es noch nie. Mit dem Alter wird man etwas milder, der Egoismus schwindet zusehends. Man nimmt sich nicht mehr so wichtig. Ob ich noch einen Kalender erarbeite, noch so schöne Ideen umsetze oder in der Alte-Herren-Bezirksklasse ein paar Gegentore verhindern könnte, ist nichts gegen das faszinierte Lächeln eines Enkels beim gemeinsamen Geschichten erzählen. Wenn er sich meiner als ein gütiger, liebevoller Großvater erinnert, ist es mir Lohn genug!    
Ich glaube fest, dass es uns glücklicher machen würde, wenn Güte der erstrebenswerte Mittelpunkt der Menschheit würde. 
Mir ist aber selbstverständlich vollkommen klar, dass das eine totale Utopie ist, reine Träumerei.
 
George Saunders schuf ein wunderbares Stück Literatur. Wer das nicht liest, ist…
 

Zitate: 

“Wir sind es uns schuldig, das Beste aus uns zu machen.”
“Vermeidet alles, was euch klein und gewöhnlich macht. Dieser leuchtende Teil von euch, der über eure Persönlichkeit hinausgeht – nennen wir ihn mal Seele -, kann so hell und klar leuchten wie nichts sonst auf der Welt.”