Monthly Archives: December 2018

Diverses: “Gibt es einen Weihnachtsmann?”

Foto: Jabs

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Die achtjährige Virginia O’Hanlon schrieb 1897 einen Leserbrief an die New York Sun mit der Aufforderung: “Bitte sagen Sie mir die Wahrheit: Gibt es einen Weihnachtsmann?” Der Redakteur Francis P. Church antwortete:

Virginia, deine kleinen Freunde haben unrecht. Sie sind beeinflusst von der Skepsis eines skeptischen Zeitalters. Sie glauben an nichts, das sie nicht sehen. Sie glauben, dass nichts sein kann, was ihr kleiner Verstand nicht fassen kann. Der Verstand, Virginia, sei er nun von Erwachsenen oder Kindern, ist immer klein. In diesem unserem großen Universum ist der Mensch vom Intellekt her ein bloßes Insekt, eine Ameise, verglichen mit der grenzenlosen Welt über ihm, gemessen an der Intelligenz, die zum Begreifen der Gesamtheit von Wahrheit und Wissen fähig ist. 

Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann. Er existiert so zweifellos wie Liebe und Großzügigkeit und Zuneigung bestehen, und du weißt, dass sie reichlich vorhanden sind und deinem Leben seine höchste Schönheit und Freude geben. O weh! Wie öde wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe. Sie wäre so öde, als wenn es dort keine Virginias gäbe. Es gäbe dann keinen kindlichen Glauben, keine Poesie, keine Romantik, die diese Existenz erträglich machen. Wir hätten keine Freude außer durch die Sinne und den Anblick. Das ewige Licht, mit dem die Kindheit die Welt erfüllt, wäre ausgelöscht. 

Nicht an den Weihnachtsmann glauben! Du könntest ebenso gut nicht an Elfen glauben! Du könntest deinen Papa veranlassen, Menschen anzustellen, die am Weihnachtsabend auf alle Kamine aufpassen, um den Weihnachtsmann zu fangen; aber selbst wenn sie den Weihnachtsmann nicht herunterkommen sähen, was würde das beweisen? Niemand sieht den Weihnachtsmann, aber das ist kein Zeichen dafür, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Die wirklichsten Dinge in der Welt sind jene, die weder Kinder noch Erwachsene sehen können. Sahst du jemals Elfen auf dem Rasen tanzen? Selbstverständlich nicht, aber das ist kein Beweis dafür, dass sie nicht dort sind. Niemand kann die ungesehenen und unsichtbaren Wunder der Welt begreifen oder sie sich vorstellen. 

Du kannst die Babyrassel auseinanderreißen und nachsehen, was darin die Geräusche erzeugt; aber die unsichtbare Welt ist von einem Schleier bedeckt, den nicht der stärkste Mann, noch nicht einmal die gemeinsame Stärke aller stärksten Männer aller Zeiten, auseinanderreißen könnte. Nur Glaube, Phantasie, Poesie, Liebe, Romantik können diesen Vorhang beiseiteschieben und die übernatürliche Schönheit und den Glanz dahinter betrachten und beschreiben. Ist das alles wahr? Ach, Virginia, in der ganzen Welt ist nichts sonst wahrer und beständiger. 

Kein Weihnachtsmann! Gott sei Dank! lebt er, und er lebt auf ewig. Noch in tausend Jahren, Virginia, nein, noch in zehnmal zehntausend Jahren wird er fortfahren, das Herz der Kindheit zu erfreuen.

Bücher: “Eine antiautoritäre Weihnachtsgeschichte”

Foto: Jabs

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Robert Gernhardt:

“Die Falle”

Da Herr Lemm, der ein reicher Mann war, seinen beiden Kindern zum Christfest eine besondere Freude machen wollte, rief er Anfang Dezember beim Studentenwerk an und erkundigte sich, ob es stimme, dass die Organisation zum Weihnachtsfest Weihnachtsmänner vermittle. Ja, das habe seine Richtigkeit. Studenten stünden dafür bereit, 25 DM koste eine Bescherung, die Kostüm brächten die Studenten mit, die Geschenke müsste der Hausherr natürlich selbst stellen. “Versteht sich, versteht sich”, sagte Herr Lemm, gab die Adresse seiner Villa in Berlin-Dahlem an und bestellte einen Weihnachtsmann für den 24. Dezember um 18 Uhr. Seine Kinder seien noch klein, und da sei es nicht gut, sie allzu lange auf die Bescherung warten zu lassen. Der bestellte Weihnachtsmann kam pünktlich. Er war ein Student mit schwarzem Vollbart, unter dem Arm trug er ein Paket.„Wollen Sie so auftreten?” fragte Herr Lemm.

„Nein”, antwortete der Student, „da kommt natürlich noch ein weißer Bart darüber. Kann ich mich hier irgendwo umziehen?”.

Er wurde in die Küche geschickt. „Da stehen aber leckere Sachen”, sagte er und deutete auf die kalten Platten, die auf dem Küchentisch standen. „Nach der Bescherung, wenn die Kinder im Bett sind, wollen noch Geschäftsfreunde meines Mannes vorbeischauen”, erwiderte die Hausfrau. „ Daher eilt es etwas. Könnten Sie bald anfangen?”

Der Student war schnell umgezogen. Er hatte jetzt einen roten Mantel mit roter Kapuze an und band sich einen weißen Bart um. „Und nun zu den Geschenken”, sagte Herr Lemm. „Diese Sachen sind für den Jungen, Thomas”, er zeigte auf ein kleines Fahrrad und andere Spielsachen, „und das bekommt Petra, das Mädchen, ich meine die Puppe und die Sachen da drüben. Die Namen stehen jeweils drauf, da wird wohl nichts schief gehen. Und hier ist noch ein Zettel, auf dem ein paar Unarten der Kinder notiert sind, reden Sie ihnen einmal ins Gewissen, aber verängstigen Sie sie nicht, vielleicht genügt es, etwas mit der Rute zu drohen. Und versuchen Sie, die Sache möglichst rasch zu machen, weil wir noch Besuch erwarten.”

Der Weihnachtsmann nickte und packte die Geschenke in den Sack. „Rufen Sie die Kinder schon ins Weihnichtszimmer, ich komme gleich nach. Und noch eine Frage. Gibt es hier ein Telefon? Ich muss jemanden anrufen.”

„Auf der Diele rechts. “

„Danke.”

Nach einigen Minuten war dann alles soweit. Mit dem Sack über dem Rücken ging der Student auf die angelehnte Tür des Weihnachtszimmers zu. Einen Moment blieb er stehen. Er hörte die Stimme von Herrn Lemm, der gerade sagte: „Wisst ihr, wer jetzt gleich kommen wird? ja, Petra, der Weihnachtsmann, von dem wir euch schon so viel erzählt haben. Benehmt euch schön brav… “

Fröhlich öffnete er die Tür. Blinzelnd blieb er stehen. Er sah den brennenden Baum, die erwartungsvollen Kinder, die feierlichen Eltern. Es hatte geklappt, jetzt fiel die Falle zu. „Guten Tag, liebe Kinder”, sagte er mit tiefer Stimme. „Ihr seid also Thomas und Petra. Und ihr wisst sicher, wer ich bin, oder?” „Der Weihnachtsmann”, sagte Thomas etwas ängstlich.

„Richtig. Und ich komme zu euch, weil heute Weihnachten ist. Doch bevor ich nachschaue, was ich alles in meinem Sack habe, wollen wir erst einmal ein Lied singen. Kennt ihr ‚Stille Nacht, heilige Nacht’? Ja? Also!”

Er begann mit lauter Stimme zu singen, doch mitten im Lied brach er ab. „Aber, aber, die Eltern singen ja nicht mit! Jetzt fangen wir alle noch mal von vorne an. Oder haben wir den Text etwa nicht gelernt? Wie geht denn das Lied, Herr Lemm?”

Herr Lemm blickte den Weihnachtsmann befremdet an. „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einer wacht …

Der Weihnachtsmann klopfte mit der Rute auf den Tisch: „Einsam wacht! Weiter! Nur das traute …”

„Nur das traute, hochheilige Paar”, sagte Frau Lemm betreten, und leise fügte sie hinzu: „Holder Knabe im lockigen Haar.”

„Vorsagen gilt nicht”, sagte der Weihnachtsmann barsch und hob die Rute. „Wie geht es weiter?” „Holder Knabe im lockigen…”

„im lockigen was?

„Ich weiß es nicht”, sagte Herr Lemm. Aber was soll denn diese Fragerei? Sie sind hier, um…”

Seine Frau stieß ihn in die Seite, und als er die erstaunten Blickt seiner Kinder sah, verstummte Herr Lemm.

„Holder Knabe im lockigen Haar”, sagte der Weihnachtsmann, .”Schlaf in himmlischer Ruh, schlaf in himmlischer Ruh. Das nächste Mal lernen wir das besser. Und jetzt singen wir noch einmal miteinander.” „Stille Nacht, heilige Nacht . . .”

„Gut, Kinder”, sagte er dann. „Eure Eltern können sich ein Beispiel an euch nehmen. So, jetzt geht es an die Bescherung. Wir wollen doch mal sehen, was wir hier im Sack haben. Aber Moment, hier liegt ja noch ein Zettel!” Er griff nach dem Zettel und las ihn durch.

Stimmt das, Thomas, dass du in der Schule oft ungehorsam bist und den Lehrern widersprichst?”

„Ja”, sagte Thomas kleinlaut.

„So ist es richtig”, sagte der Weihnachtsmann. „Nur dumme Kinder glauben alles, was ihnen die Lehrer erzählen. Brav, Thomas!”

Herr Lemm sah den Studenten beunruhigt an.

„Aber…” begann er. „Sei doch still”, sagte seine Frau.

„Wollten Sie etwas sagen?” fragte der Weihnachtsmann Herrn Lemm mit tiefer Stimme und strich sich über den Bart.

„Nein.

„Nein, lieber Weihnachtsmann, heißt das immer noch. Aber jetzt kommen wir zu dir, Petra. Du sollst manchmal bei Tisch reden, wenn du nicht gefragt wirst, ist das wahr?”. Petra nickte. „Gut so”, Sagte der Weihnachtsmann. „Wer immer nur redet, wenn er gefragt wird, bringt es in diesem Leben zu nichts. Und da ihr so brave Kinder seid, sollt ihr nun auch belohnt werden. Aber bevor ich in den Sack greife, hätte ich gerne etwas zu trinken.” Er blickte die Eltern an.

„Wasser?” fragte Frau Lemm.

„Nein, Whisky. Ich habe in der Küche eine Flasche Chivas Regal gesehen. Wenn Sie mir davon etwas einschenken würden? Ohne Wasser, bitte, aber mit etwas Eis.”

„Mein Herr!” sagte Herr Lemm, aber seine Frau war schon aus dem Zimmer. Sie kam mit einem Glas zurück, das sie dem Weihnachtsmann anbot. Er lehrte es und schwieg.

„Merkt euch eins, Kinder”, sagte er dann. „Nicht alles, was teuer ist, ist auch gut. Dieser Whisky kostet etwa 50 DM pro Flasche. Davon müssen manche Leute einige Tage leben, und eure Eltern trinken dar einfach runter. Ein Trost bleibt: der Whisky schmeckt nicht besonders.” Herr Lemm wollte etwas sagen, doch als der Weihnachtsmann die Rute hob, ließ er es.

„So, jetzt geht es an die Bescherung.”

Der Weihnachtsmann packte die Sachen aus und überreichte sie den Kindern. Er machte dabei kleine Scherze, doch es gab keine Zwischenfälle, Herr Lemm atmete leichter, die Kinder schauten respektvoll zum Weihnachtsmann auf, bedankten sich für jedes Geschenk und lachten, wenn er einen Scherz machte. Sie mochten ihn offensichtlich.

„Und hier habe ich noch etwas Schönes für dich, Thomas”, sagte der Weihnachtsmann. „Ein Fahrrad. Steig mal drauf.” Thomas strampelte, der Weihnachtsmann hielt ihn fest, gemeinsam drehten sie einige Runden im Zimmer.

„So, jetzt bedankt euch mal beim Weihnachtsmann!” rief Herr Lemm den Kindern zu. „Er muss nämlich noch viele, viele Kinder besuchen, deswegen will er jetzt leider gehen.” Thomas schaute den Weihnachtsmann enttäuscht an, da klingelte es. „Sind das schon die Gäste?” fragte die Hausfrau. „Wahrscheinlich”, sagte Herr Lemm und sah den Weihnachtsmann eindringlich an. „Öffne doch.”

Die Frau tat das, und ein Mann mit roter Kapuze und rotem Mantel, über dem ein langer weißer Bart wallte, trat ein. „Ich bin Knecht Ruprecht”, sägte er mit tiefer Stimme.

Währenddessen hatte Herr Lemm im Weihnachtszimmer noch einmal behauptet, dass der Weihnachtsmann jetzt leider gehen müsse. „Nun bedankt euch mal schön, Kinder”, rief er, als Knecht Ruprecht das Zimmer betrat. Hinter ihm kam Frau Lemm und schaute ihren Mann achselzuckend an . „Da ist ja mein Freund Knecht Ruprecht”, sagte der Weihnachtsmann fröhlich.

„So ist es”, erwiderte dieser. „Da drauß’ vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr. Und jetzt hätte ich gerne etwas zu essen”

„Wundert euch nicht”, sagte der Weihnachtsmann zu den Kindern gewandt. „Ein Weihnachtsmann allein könnte nie all die Kinder bescheren, die es auf der Welt gibt. Deswegen habe ich Freunde, die mir dabei helfen: Knecht Ruprecht, den heiligen Nikolaus und noch viele andere”

Es klingelte wieder. Die Hausfrau blickte Herrn Lemm an, der so verwirrt war, dass er mit dem Kopf nickte; sie ging zur Tür und öffnete. Vor der Tür stand ein dritter Weihnachtsmann, der ohne Zögern eintrat. „Puh”, sagte er. „Diese Kälte! Hier ist es beinahe so kalt wie am Nordpol, wo ich zu Hause bin!”

Mit diesen Worten betrat er das Weihnachtszimmer. „Ich bin Sankt Nikolaus”, fügte er hinzu, „und ich freue mich immer, wenn ich brave Kinder sehe. Das sind sie doch – oder?”

„Sie sind sehr brav”, sagte der Weihnachtsmann. „Nur die Eltern gehorchen nicht immer, denn sonst hätten sie schon längst eine von den kalten Platten und etwas zu trinken gebracht.”

„Verschwinden Sie!” flüsterte Herr Lemm in das Ohr des Studenten.

„Sagen Sie das doch so laut, dass Ihre Kinder es auch hören können”, antwortete der Weihnachtsmann.

„Ihr gehört jetzt ins Bett”, sagte Herr Lemm.

„Nein”, brüllten die Kinder und klammerten sich an den Mantel des Weihnachtsmannes.

„Hunger”, sagte Sankt Nikolaus.

Die Frau holte ein Tablett. Die Weihnachtsmänner begannen zu essen. „In der Küche steht Whisky”, sagte der erste, und als Frau Lemm sich nicht rührte, machte sich Knecht Ruprecht auf den Weg. Herr Lemm lief hinter ihm her. In der Diele stellte er den Knecht Ruprecht, der mit einer Flasche und einigen Gläsern das Weihnachtszimmer betreten wollte.

„Lassen Sie die Hände vom Whisky!”

„Thomas!” rief Knecht Ruprecht laut, und schon kam der junge auf seinem Fahrrad angestrampelt. Erwartungsvoll blickte er Vater und Weihnachtsmann an.

„Mein Gott, mein Gott”, sagte Herr Lemm, doch er ließ Knecht Ruprecht vorbei.

„Tu was dagegen”, sagte seine Frau. „Das ist ja furchtbar. Tu was!”

„Was soll ich tun?” fragte er, da klingelte es.

„Das werden die Gäste sein!”

„Und wenn sie es nicht sind?”

„Dann hole ich die Polizei!” Herr Lemm öffnete. Ein junger Mann trat ein. Auch er hatte einen Wattebart im Gesicht, trug jedoch keinen roten Mantel, sondern einen weiten Umhang, an dem er zwei Flügel aus Pappe befestigt hatte. Der Weihnachtsmann, der auf die Diele getreten war, als er das Klingeln gehört hatte, schwieg wie die anderen. Hinter ihm schauten die Kinder, Knecht Ruprecht und Sankt Nikolaus auf den Gast.

„Grüß Gott, lieber…” sagte Knecht Ruprecht schließlich.

„Lieber Engel Gabriel”, ergänzte der Bärtige verlegen. „ich komme, um hier nachzuschauen, ob auch alle Kinder artig sind. Ich bin nämlich einer von den Engeln auf dem Felde, die den Hirten damals die Geburt des Jesuskindes angekündigt haben. „Ihr kennt doch die Geschichte, oder?”

Die Kinder nickten, und der Engel ging etwas befangen ins Weihnachtszimmer. Zwei Weihnachtsmänner folgten ihm, den dritten, es war jener, der als erster gekommen war, hielt Herr Lemm fest. „Was soll denn der Unfug?” fragte er mit einer Stimme, die etwas zitterte. Der Weihnachtsmann zuckte mit den Schultern. „Ich begreif auch nicht, warum er so antanzt. Ich habe ihm ausdrücklich gesagt, er solle als Weihnachtsmann kommen, aber wahrscheinlich konnte er keinen roten Mantel auftreiben. ” „Sie werden jetzt alle schleunigst hier verschwinden”, sagte Herr Lemm.

„Schmeißen Sie uns doch raus”, erwiderte der Weihnachtsmann und zeigte ins Weihnachtszimmer. Dort saß der Engel, aß Schnittchen und erzählte Thomas davon, wie es im Himmel aussah. Die Weihnachtsmänner tranken und brachten Petra ein Lied bei, das mit den Worten begann: „Nun danket alle Gott, die Schule ist bankrott.”

„Wie viel verlangen sie?” fragte Herr Lemm, „Wofür ?”

„Für Ihr Verschwinden. Ich erwarte bald Gäste, das wissen Sie doch.”

„Ja, das könnte peinlich werden, wenn Ihre Gäste hier herein platzen würden. Was ist Ihnen denn die Sache wert?”

„Hundert Mark”, sagte der Hausherr. Der Weihnachtsmann lachte und ging ins Zimmer. „Holt mal eure Eltern”, sagte er zu Petra und Thomas, „Engel Gabriel will uns noch die Weihnachtsgeschichte erzählen.”

Die Kinder liefen auf die Diele. „Kommt”, schrien sie, „Engel Gabriel will uns was erzählen.” Herr Lemm sah seine Frau an.

„Halt mir die Kinder etwas vom Leibe”, flüsterte er, „Ich ruf jetzt die Polizei an!”„Tu es nicht”, bat sie, „denk doch daran, was in den Kindern vorgehen muss, wenn Polizisten . . .”

„Das ist jetzt völlig egal”, unterbrach Herr Lemm. „Ich tu’s”

„Kommt doch”, riefen die Kinder. Herr Lemm hob den Hörer ab und wählte. Die Kinder kamen neugierig näher.

„Hier Lemm”, flüsterte er. „ Lemm, Berlin-Dahlem. Bitte schicken Sie ein Überfallskommando.” „Sprechen sie bitte lauter.”

„Ich kann nicht lauter sprechen, wegen der Kinder. Hier bei mir zu Haus, sind drei Weihnachtsmänner und ein Engel und die gehen nicht weg…

Frau Lemm hatte versucht, die Kinder wegzuscheuchen, es war ihr nicht gelungen. Petra und Thomas standen neben ihrem Vater und schauten ihn an. Herr Lemm verstummte.

„Was ist mit den Weihnachtsmännern?” fragte der Beamte, doch Herr Lemm schwieg weiter.

„Fröhliche Weihnachten”, sagte der Beamte und hängte auf.

Da erst wurde Herrn Lemm klar, wie verzweifelt seine Lage war.

„Komm, Pappi”, riefen die Kinder, „Engel Gabriel will anfangen.” Sie zogen ihn ins Weihnachtszimmer.

„Zweihundertfünfzig”, sagte er leise zum Weihnachtsmann, der auf der Couch saß.

„Pst”, antwortete der und zeigte auf den Engel, der „Es begab sich aber zu der Zeit” sagte und langsam fortfuhr. „Dreihundert”. Als der Engel begann, den Kindern zu erzählen, was der Satz „und die war schwanger” bedeute, sagte Herr Lemm „Vierhundert” und der Weihnachtsmann nickte.

„Jetzt müssen wir leider gehen, liebe Kinder”, sagte er. „Seid hübsch brav, widersprecht euren Lehrern, wo es geht, haltet die Augen offen und redet, ohne gefragt zu werden. Versprecht ihr mir das?”

Die Kinder versprachen es, und nacheinander verließen der Weihnachtsmann, Knecht Ruprecht, Sankt Nikolaus und der Engel Gabriel das Haus.

Diverses: 3. Advent

Foto: Jabs

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Advent heißt Warten
Nein, die Wahrheit ist
Dass der Advent nur laut und schrill ist
Ich glaube nicht
Dass ich in diesen Wochen zur Ruhe kommen kann
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich mich ausrichten kann auf das, was kommt
Es ist doch so
Dass die Zeit rast
Ich weigere mich zu glauben
Dass etwas Größeres in meine Welt hineinscheint
Dass ich mit anderen Augen sehen kann
Es ist doch ganz klar
Dass Gott fehlt
Ich kann unmöglich glauben
Nichts wird sich verändern
Es wäre gelogen, würde ich sagen:
Gott kommt auf die Erde!
Das Gedicht von Iris Macke kann man auch Zeile für Zeile von hinten nach vorn lesen:
Gott kommt auf die Erde!
Es wäre gelogen, würde ich sagen:
Nichts wird sich verändern
Ich kann unmöglich glauben
Dass Gott fehlt
Es ist doch ganz klar
Dass ich mit anderen Augen sehen kann
Dass etwas Größeres in meine Welt hineinscheint
Ich weigere mich zu glauben
Dass die Zeit rast
Es ist doch so
Dass ich mich ausrichten kann auf das, was kommt
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich in diesen Wochen zur Ruhe kommen kann
Ich glaube nich
Dass der Advent nur laut und schrill ist
Nein, die Wahrheit ist
Advent heißt Warten

Bücher: Gedanken zum Weihnachtsfest von Hermann Hesse

Foto: Jabs

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“Von allen Seiten umgibt und umschnürt mich die verfluchte Weihnachtsstimmung mit ihrer mir von Jahr zu Jahr unleidlicher werdenden Sentimentalität und Familiarität, wo ich das »Fest« zubringen werde, weiß ich noch nicht, entweder hier in Zürich in irgendeiner Kneipe oder vielleicht drüben in Baden, wo es doch etwas hübscher wäre … 
Ich selber habe vor Familie und Weihnacht und Geschenken und alle dem Getue und der verlogenen Sentimentalität des sogenannten Familienlebens einen solchen Ekel, daß ich nicht hingehen kann.” 
(Aus einem Brief vom Dezember 1925 an Hugo Ball) 

Fotografie: Paulus Ponizak

Foto: Jabs

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Es gibt nur wenige Pressefotografen, deren Arbeit mir über alle Maßen gefällt. Aber ich höre nicht auf, Paulus Ponizak (auch: “Paul”) zu preisen.
(Er ist auch einer der wenigen Gründe, weshalb ich immer noch die Berliner Zeitung lese.)