Monthly Archives: April 2014

Kino: “Love Steaks”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein Tipp für alle Berliner/Berlinbesucher:

In der Schliemannstraße 15 (Prenzlauer Berg) gibt es das “schönste kleine Kino”, ein wunderbares Lichtspieltheater – “Filmcafé & Downstairs” (30 Plätze, der Eintritt koste 4,5 €).
Empfehlenswert auch für Fußballübertragunen (Bundesliga und Champions League) und das vermeintlich schwer angesagte gemeinschaftliche Tatort-Gucken am Sonntagabend auf Großleinwand.
Ich sah hier “Love Steaks” (ohne Werbung im Vorprogramm).
Beschwingter, angenehm leichter, aber keineswegs seichter Kintopp – ein Liebesfilm von Jakob Lass (HFF Potsdam 2013), der auch Alkoholprobleme zum Thema hat und ohne jede finanzielle Förderung auskam. Der 33-jährige Regiestudent drehte einen authentischen Streifen und das nicht nach Lars von Triers “Dogma-Prämissen”, sondern seinen daran angelehnten “Fogma-Regeln”. Das passierte in nur 28 Tagen mit zwei Kommilitonen und einer geliehenen Handkamera. Kein ausgefeiltes Drehbuch, kein Kunstlicht, keine Maske, improvisierte Dialoge, unzählige Laiendarsteller beim Erzählen einer interessanten Geschichte, die im laufenden Betrieb des Kurhotels Ahrenshoop spielt. Ein begrüßenswerter Protest gegen das kommerzielle deutsche Kino.  Niemand im Team erhielt eine Gage! Schwierig wird das nur, weil der Ton zeitweise schlecht zu verstehen ist. Durchgängig lustige Szenen charakterisieren die sich richtig frisch entwickelnde, chaotische und glaubhafte Handlung. Endlich mal Erotik ohne blanke Busen! Nackt  ist einzig und allein der männliche Held. Es gibt auch keine Angst vor Slapstickeinlagen, die sich ans klassische “Auf-einer-Banane-ausrutschen” anlehnen. Das bringt anwesende Backfische sicher zum Gackern. Brillant finde ich die beiden Hauptdarsteller (Lana Cooper, Franz Rogowski).
Sehenswert ist die fulminante Schlusseinstellung!
P.S. “Love Steaks” (Preise bei den Filmfestivals München und Saarbrücken) ist erfreulicherweise für den Deutschen Filmpreis nominiert!

 

 

 

 

Fotografie, Kunst: Blicke in Berliner Hinterhöfe

Linolschnitt: Josefine Grosse, Gemälde: Christine Reichmann, Fotos: Jabs

Linolschnitt: Josefine Grosse, Gemälde: Christine Reichmann, Fotos: Jabs

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Hinterhofansichten inspirierten Josefine Grosse zu einem Linolschnitt und Christine Reichmann zu einem Gemälde…

Bücher: Eine Ostergeschichte

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Alexander Osang: “Haie der Großstadt” 

Der Bierbrauer Markus Dietze gibt sich Mühe bei seinem Osterausflug. Er will etwas von der Exotik Berlins spüren, schon allein, weil die Reise nicht billig gewesen war. Doch da ist eine Wand zwischen ihm und der Stadt.
Dietze betrat den Schuhladen in der Alten Schönhauser und spürte, wie sich das großstädtische Gefühl in seiner Brust auflöste. Es gab nur wenige Schuhe in dem Geschäft, vielleicht zwölf für Männer und zwölf für Frauen. Sie standen auf schmalen Regalen wie Ausstellungsstücke einer Galerie, und Dietze begriff sofort, dass nichts für ihn dabei war. Er hätte gern kehrtgemacht. Aber der Typ hinter dem Tresen lächelte ihn bereits an, und Dietze wollte nicht so aussehen, als habe er sich verlaufen.
„Hallo“, sagte der Schuhverkäufer. Er trug eine Fellmütze und war Ende zwanzig, höchstens.
„Guten Tag“, sagte Dietze und lief auf das Regal mit den Männerschuhen zu, obwohl er natürlich wegen Helene hier war, seiner Tochter.
„Du meldest dich, wenn ich dir helfen kann“, sagte der Fellmützenträger.
„Ja“, sagte Dietze, den es einerseits freute, von einem Typen geduzt zu werden, der bestimmt fünfzehn Jahre jünger war als er selbst. Und andererseits ärgerte. Dass zwei gegensätzliche Gefühle in Markus Dietzes Brust miteinander rangen, war nicht ungewöhnlich. Es war die Regel. Er hob einen halbhohen Wildlederstiefel an und unterdrückte das Bedürfnis, sofort nach dem Preis zu schauen. Er wog ihn in der Hand, strich über die Kappe, der Stiefel war leicht und sah aus, als sei er bereits einige Zeit getragen worden. Der Fellmützenträger hüstelte, Dietze drehte den Schuh. 505 stand auf der Sohle. Das konnte unmöglich der Preis sein. Er stellte ihn wieder auf das dünne Brett und hob einen blauen Halbschuh an, der ebenfalls sehr leicht war, aber neu wirkte.
„Auf den n.d.c. haben wir 15 Prozent Rabatt“, sagte der Tschapkamann.„n.d.c.“, sagte Dietze.                                        „Belgische Firma, alles handgenäht.“
„Klar“, sagte Dietze und sah auf die Sohle. 435. Es war der Preis. Unfassbar.
„Wir haben die aber nur noch in 44 aufwärts“, sagte der Typ.
„Schade“, sagte Dietze und stellte den Schuh vorsichtig wieder auf das Bord. Er lächelte.
Es fühlte sich gut an zu reden, hier, in diesem Laden, seine Stimme zu hören. Es war nicht unangenehm, diese kostbaren Schuhe zu betasten. Es gab Dietze ein wenig von dem großstädtischen Gefühl zurück, das er empfunden hatte, nachdem er Katja sowie Wiebke und Lars zu der Dali-Ausstellung am Potsdamer Platz verabschiedet hatte, um selbst ins Scheunenviertel aufzubrechen. Er hatte eine vage Erinnerung an das Viertel aus seinen Studententagen und glaubte, als er die Weinmeisterstraße hinunterlief, die Touristenpfade zu verlassen und endlich in die große Stadt einzutauchen. Er befühlte den Zettel in seiner Jackentasche. Doc Martens stand da. Rot oder schwarz. Darunter ein Herz und ein H. Ein Einkaufszettel seiner Tochter.
Markus Dietze drehte sich ruckartig zu dem Mann hinterm Tresen um und rief: „Habt ihr Doc Martens?“ Es klang laut und atemlos, fast wie ein Hilferuf.
„Oh, nein“, sagte die Fellmütze und lächelte.
„Hab’ ich mir gedacht“, sagte Dietze.
Der Verkäufer lächelte.
„Wissen Sie, wo man die kriegt?“, fragte Dietze, jetzt wieder beim Sie. Ein Fremder in diesem Schuhladen, ein Landmann in der Stadt. Die Tür ging auf, und zwei junge Männer in engen Hosen und mit plusternden Schals betraten das Geschäft, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen, lachend, wie ihr Wohnzimmer. Sie sprachen, soweit Dietze das einschätzen konnte, Spanisch. Er spürte einen leichten Ärger über seine dreizehnjährige Tochter, die ihn als Laufburschen missbrauchte, in sich aufsteigen, schluckte ihn aber herunter. Sie hatten Helene ja nicht mit nach Berlin genommen, obwohl es Ostern war und sie gern mitgekommen wäre. Katja und Wiebke wollten mal wieder ohne Kinder verreisen. Wie früher, hatte Katja gesagt, und er hatte genickt, obwohl er sich nicht sicher war, ob er wirklich wollte, dass es wieder wie früher wurde. Unter anderem, weil er sich nicht daran erinnern konnte, wie es früher gewesen war.
„Vielleicht irgendwo am Hackeschen Markt“, sagte der Mann hinterm Tresen, bevor er sich seinen neuen Gästen zuwandte.
„Hola“, sagte er.
Dietze nickte, verließ den Laden und blinzelte in die Berliner Mitte wie ein Maulwurf. Er hatte in den 90er-Jahren Lebensmitteltechnologie an der Humboldt-Universität studiert, bevor er nach Radeberg zog, um Bier zu brauen. Seitdem galt er in seiner Familie und bei seinen Freunden als Berlinkenner. Er hatte sich nie viel Mühe gegeben, diesen Ruf zu zerstreuen, obwohl er den Großteil seiner Studentenzeit in einem Wohnheim in Berlin-Lichtenberg zugebracht hatte. Er musste seine Kenntnisse in den letzten zehn Jahren nicht beweisen, denn aus irgendeinem Grund schafften sie es nie bis nach Berlin, obwohl es, wie Lars in der ersten Hälfte ihres dreitägigen Osterausfluges mindestens ein Dutzend Mal festgestellt hatte, nur zwei Stunden und sechs Minuten waren, von Radeberg bis Berlin. Dietze konnte sich noch an ein paar Kneipen in Friedrichsfelde erinnern, die es inzwischen sicher nicht mehr gab, er kannte seine Hörsäle und Seminarräume, er kannte die S-Bahn und die Alte Försterei. Einmal war er auch im Olympiastadion gewesen, als Dynamo Dresden spielte. Dynamo war seine Mannschaft, was seinerzeit auch leichter gewesen war als heute. Dietze lief tiefer in die Stadt hinein, um nach Schuhen für seine Tochter zu suchen. Irgendwo am Hackeschen Markt. Seltsam, er hätte schwören können, bereits irgendwo am Hackeschen Markt zu sein. Damals war doch hier alles irgendwo am Hackeschen Markt gewesen. Aber damals wuchsen auf Grundstücken, auf denen heute bedruckte Tapeten, Handtaschen und 400-Euro-Schuhe verkauft wurden, auch noch wilde Akazien, dachte Dietze. Er fühlte sich wie Noodles, der am Ende von „Es war einmal in Amerika“ als alter Mann nach New York zurückkehrt.„Was hast du all die Jahre gemacht?“, murmelte Dietze.
„Ich bin früh schlafen gegangen.“
Besser konnte man sein Erwachsenenleben nicht zusammenfassen.
Er besuchte ein paar Schuhläden, drehte Schuhe in seinen Händen, ließ sich von Verkäuferinnen mustern, aber er fand die Stiefel nicht. In einem Geschäft erfuhr er immerhin, dass sie einst Doc Martens im Angebot hatten. Nun aber nicht mehr. Dietze hatte das Gefühl, die Schuhe waren in der Hauptstadt nicht so angesagt, wie seine Tochter zu Hause in Radeberg dachte. Es schnürte ihm den Hals zu. Er war froh, ihr die Erfahrung erspart zu haben, dachte Dietze.
Als er von seinem Ausflug zurückkam, saßen die anderen drei bereits an einem Tischchen in der Lobby des Radisson Hotels am Dom, für das sie sich entschieden, nachdem Lars im Internet gelesen hatte, dass es hier das größte Aquarium der Stadt gab. Gleich nach ihrer Ankunft kletterten sie gegen eine Gebühr auf einer Leiter ins Innere des blauen Glaskörpers. Dietze hatte sich bemüht, die Begeisterung der anderen mitzuempfinden, aber es klappte nicht. Es war ein Aquarium. Fische. Was sollte man dazu sagen? Außerdem sah man durch das Wasser hindurch die Hotelgäste in Fahrstühlen auf ihre Etagen surren. Die meisten waren Geschäftsreisende, die bedauernd zu den vier Radeberger Touristen herüberzusehen schienen, die im Innern des größten Berliner Aquariums feststeckten wie urzeitliche Ameisen in Bernstein.
Toll, hatte Dietze gesagt, auf die vorbeitreibenden Fische geschaut und die Schulter von Katja gedrückt. Katja merkte nichts von seinen falschen Gefühlen, obwohl sie seit sechzehn Jahren mit ihm verheiratet war. Vielleicht auch deshalb. Er gab sich Mühe. Er wollte etwas von der Exotik der Großstadt spüren, schon allein, weil die Reise nicht billig gewesen war. Da war eine Wand zwischen ihm und der Stadt. Die anderen traten durch sie hindurch, er rannte dagegen. Am Karfreitag waren sie im Neuen Museum gewesen, um sich die Nofretete anzusehen. Sie hatten stundenlang gewartet, und als er dann auf die Büste schaute, fühlte er sich betrogen. Sie sah unecht aus, wie Lenin, auf den er auf einer Klassenfahrt vor fünfundzwanzig Jahren ähnlich lange hatte warten müssen. Er starrte und starrte, aber es passierte nichts.
Dali am Potsdamer Platz hätte er nicht ertragen. Er mochte weder den Platz noch den Maler. Beide kamen ihm unecht vor und angeberisch, aber er sah schon an den Gesichtern der anderen, dass sie das ganz anders empfunden hatten. Neben dem Tischchen stand ein Dali-Leinenbeutel, Wiebke adressierte eine Kunstpostkarte, auf der sie, da war sich Dietze sicher, ihren Berlinausflug aussehen ließ wie die Besteigung des Chimborazo.
„Und du?“, fragte Lars.
Dietze erzählte von seiner erfolglosen Schuhsuche, aber so, dass es nicht niederschmetternd, sondern abenteuerlich klang. Seine Kunstpostkarte, sozusagen.
Noch bevor er fertig war, zückten Wiebke und Lars ihre Handys, wobei er bemerkte, dass Wiebke sich eine Telefonhülle mit der zerlaufenden Dali-Uhr gekauft hatte, und recherchierten die Doc-Martens-Situation weltweit und in Berlin. Niemals könnte er mit den beiden in einen Urlaub fahren, der länger als ein Osterwochenende dauerte, dachte Dietze. Lars fand heraus, dass der Schuh von einem deutschen Arzt namens Klaus Märtens erfunden wurde, Wiebke erkundete die Adresse eines Berliner Doc-Martens-Stores in der Dircksenstraße.
„Die ersten Schuhe wurden aus Weltkriegsmaterial gefertigt“, sagte Lars.
„Das ist gleich hier um die Ecke, Markus“, sagte Wiebke.
Sie sahen lächelnd von ihren Handys auf, so als hätten sie ihn bei irgendetwas erwischt. Katja streichelte sein Handgelenk.„Dircksenstraße kenn’ ich“, sagte Dietze leise, legte eine Hand auf die Hand seiner Frau und dachte an den Puff, den er und ein Studienkumpel dort nach zu vielen halben Litern in der Wernesgrüner Bierstube am Alexanderplatz besucht hatten. Eigentlich hatten sie in den Studentenklub gehen wollen, waren dann aber in der Dircksenstraße hängengeblieben. Weil es so bequemer war, wie sein Kumpel gesagt hatte. Guido. Guido aus Stralsund. Ein weiser Mann, auf seine Art. Einmal hatte er ein Mädchen in einem Lichtenberger Jugendklub überzeugt, ihn auf ihr Zimmer mitzunehmen, weil der Irakkrieg bevorstand. Der erste Irakkrieg. So war Guido. Weiß der Teufel, was aus dem geworden war. Dietze konnte sich auch nicht mehr an das Gesicht der Nutte aus der Dircksenstraße erinnern, nur noch an die Eieruhr, die sie aufgezogen hatte, während er aus seinen Hosen stieg. Für 50 Mark gab’s eine Viertelstunde. Wir leben im Atomzeitalter, hatte Guido später gesagt. Das war die Dircksenstraße des Berlinkenners Markus Dietze.
So viel zur guten alten Zeit.
Er schaffte es, die Stiefel für Helene zu kaufen, bevor sie zum Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ ins Stage Theater am Potsdamer Platz aufbrachen, über das Wiebke im Internet viel Gutes gelesen hatte. Lars war begeistert, Katja zufrieden, nur Dietze hatte das Gefühl, noch mehr Boden unter den Füßen verloren zu haben, als sie nach der Show aus dem Theater in die Kulissen des Potsdamer Platzes traten. Hier, an diesem historischen Ort, wo einst die Mauer stand, so hatte er im Programm gelesen, bekamen sie Geschichtsunterricht im Rockformat. Dietze, der „Er wollte nach London“ komplett durchsingen konnte, selbst wenn man ihn nachts um drei weckte, spürte, dass das alles wenig mit ihm und mit Udo Lindenberg zu tun hatte. Geschichtsunterricht im Rockformat, verdammte Scheiße. Sie aßen in einem Steakhaus, das aussah, als könne man es in drei Stunden zusammenbauen, auf einen Laster laden und in weiteren drei Stunden an einem anderen Ort dieser Erde wieder aufbauen, zum Beispiel in Dresden-Klotzsche, wo Helene Ostern verbrachte, bei seinen Schwiegereltern. Alle vier nahmen ihr Steak medium.
„Das sollten wir öfter machen“, sagte Dietze, bevor er das erste Fleischstück in den Mund schob.
„Es sind ja nicht mal zwei Stunden“, sagte Katja.
„Zweinullsechs“, sagte Lars.
Sie tranken noch einen Absacker zwischen den Geschäftsleuten vorm Fischtank und gingen dann, sich vielsagend zuzwinkernd, aufs Zimmer.
Als Dietze aus dem Bad kam, schlief Katja. Sie trug ein schwarzes Seidennachthemd, das er noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte sie es sich extra für die Berlinreise gekauft. Markus Dietze schossen die Tränen in die Augen, er deckte seine Frau vorsichtig zu. Am Ostermorgen versteckte er ihr ein Duschbad von Armani in der Minibar, seins fand er in den weißen Radisson Hotelpantoffeln, dann gingen sie zum Osterbrunch in ein Restaurant an der Spree. Es war kühl, aber sonnig, und so setzten sie sich nach draußen. Die Frauen beschlossen in einem Anfall von Radeberger Weltläufigkeit, Sekt zu trinken. Dietze sah einem dieser Fahrradtaxis zu, die ihre Gäste im Schneckentempo durch die Stadt gondelten. Es war grausam. Wer machte so was, dachte er, und in dem Moment fiel es ihm ein: Leute wie sie.„Das ist ja auch lustig“, sagte Wiebke. Katja sah ihn an.
Er lächelte und nickte. Sie redeten über die Zypernkrise, den Kriegsdreiteiler im ZDF und ihren Berlinausflug, so, als würde das alles irgendwie zusammengehören. Sie waren Rädchen im Getriebe der Welt. Manchmal sagte Markus Dietze auch irgendetwas, als die anderen den Plan für den Osternachmittag diskutierten, die „Welt der Muslime“ oder die Bauhaus-Ausstellung, Tierpark oder Zoo, was den Vorteil hätte, dass sie gleich noch ins Waldorf Astoria schauen könnten, Romanisches Café undsoweiterundsofort. Es war ihm alles egal. Tierpark oder Muslime oder beides, solange sie nicht mit einem dieser erniedrigenden Fahrradtaxis fahren mussten. Wenn ihn jemand fragen würde, was er sich gern angeschaut hätte, dann wäre es der neue Flughafen gewesen. BER. Etwas, was nicht funktionierte, etwas was nicht fertig wurde. Ein Platz, an dem die Zeit stillstand. Ein Ort, der zu seinem Rhythmus passte und zu seinen Erinnerungen an die Stadt, in der er viereinhalb Jahre gelebt hatte.
Wiebke und Katja bestellten kichernd ein zweites Glas Sekt, „Gläschen“, sagte Katja, er nickte ihr aufmunternd zu und dachte daran, dass Dynamo in zwei Wochen in der Alten Försterei spielen würde. Das wäre ein Termin für ihn gewesen. Aber so. Er sah raus auf die Spree, die Brücke, den Dom und die Händler, die dort russische Pelzmützen und Orden einer untergegangenen Zeit verkauften. Er dachte daran, wie schön es wäre, wenn die Radeberger Brauerei wieder die Sponsorenschaft für den Verein übernehmen sollte, seine Brauerei, sein Klub, das gehörte doch zusammen. Das waren die Gedanken, denen sich Markus Dietze hingab, als ihm die Menschentraube auffiel, die sich zwanzig Meter von ihrem Tisch am Fuß der Brücke bildete.
Im Zentrum der Traube erkannte er einen Hütchenspieler, ein mittelalter, gedrungener Mann, mit winzigem Hut und grauen Schläfen, links und rechts neben ihm seine Komplizen, deutlich jünger, dazu eine junge Frau in enger roter Lederjacke, die munter auf die Gruppe einredete. Einer der beiden jungen Ganoven tat so, als würde er mitspielen, er gewann zweimal, verlor dann, die Frau redete ununterbrochen, die anderen Menschen schauten nur zu. Seltsamerweise freute sich Dietze darüber, dass es noch Hütchenspieler gab. Er hatte angenommen, dass sie mit dem Rest seiner Erinnerungen verschwunden waren, aber sie hatten überlebt. Ein junger Mann versuchte sein Glück. Er setzte zehn Euro ein. Sie ließen ihn gewinnen. Vielleicht gehörte er auch dazu, aber eigentlich sah er nicht so aus.
„In welche Ausstellung würdest du denn lieber gehen, Markus?“, fragte Katja und zupfte ihn am Arm.
„Vielleicht Bauhaus“, sagte Dietze, der Schwierigkeiten hatte, sich noch auf seine Reisebegleiter und ihre Pläne zu konzentrieren. „Den Orient haben wir ja schon mit Nofretete abgedeckt. Sozusagen.“
„Da vergleichst du jetzt aber Äpfel mit Birnen“, sagte Lars. „Birnen“, sagte Dietze, ohne Lars anzusehen. Er hatte jegliches Interesse an Lars verloren. Eine Tür in die Stadt hatte sich geöffnet. Er fühlte sich wie der Mann in einer Zweig-Novelle, die er einst gelesen hatte. Der Mann, der einen Dieb bei der Arbeit beobachtet. In Paris war das, so glaubte er sich zu erinnern. Auch eine große Stadt. Der Erzähler sah, wie sich der graue Menschenstrom, der an seinem Caféhausplatz vorbeizog, angesichts des Taschendiebes vor seinen Augen ordnete, in Passanten und Opfer. Dietze spürte die frische Luft, die ihn durch die offene Tür anwehte.
Der Junge gewann noch mal, dann verlor er. Seine Freundin zog ihn von den Hütchenspielern weg. Die junge Frau in der roten Jacke redete auf sie ein. Wieder spielte einer der Kumpanen, dann drei Jungen, höchsten sechzehn, die zweimal gewannen und dann aufhörten, die junge Frau schien ihnen zu gratulieren, der Mann mit dem kleinen Hut, der die Schachteln kreisen ließ, schien sich zu ärgern. Und vielleicht war es genau das, was den alten Mann bewog, mitzumachen.
Er war etwa siebzig und trug eine dieser beigefarbenen Safariwesten, die alte Leute gern trugen, wenn sie zu Ausflügen aufbrechen. Seine dicken weißen Haare sprangen in einem Bürzel nach vorn über buschige Brauen, er hatte eine etwas zu große Brille im Gesicht und strahlte eine störrische Entschiedenheit aus, die Dietze an seinen Vater erinnerte. Ein Mann, der sich gegen die Leine wehrte, an der er hing, wie ein alter Esel. Ein Meter hinter ihm, im Windschatten, wartete seine Frau, die offensichtlich noch beim Friseur gewesen war, bevor sie nach Berlin aufbrachen. Sie steckte in einer viel zu großen weißen Windjacke, über der sie einen winzigen Rucksack trug. Die Männer trugen Westen, die Frauen Zwergenrucksäcke, da ging die Reise hin. Die beiden hätten aus Radeberg kommen können oder aus einem Ort, der noch viel kleiner war als Radeberg. Der Mann aber, das spürte Dietze, schien sich sicher zu sein, das Spiel durchschaut zu haben. Ihm konnte man nichts vormachen. Er setzte fünfzig Euro.
Dietze sah den braunen Geldschein von seinem Platz ganz deutlich und bekam einen Schreck.                                               Der Alte sah auf die tanzenden Kästchen, überlegte einen Moment, als sie zur Ruhe kamen und zeigte dann auf das rechte. Er gewann. Die Frau, die in seinem Schatten gewartet hatte wie ein Stein, wippte in den Knien. Sie berührte ihren Mann leicht an der Weste. Der Alte setzte hundert Euro, seine fünfzig und die fünfzig, die er gewonnen hatte. Die Hütchen tanzten, die junge Frau redete auf den Alten ein, aber er sah durch sie hindurch. Die Menschentraube war jetzt so groß, dass man die Spieler kaum noch erkennen konnte. Dietze wäre gern aufgestanden, aber er sah an der Bewegung der Masse, dass der Alte wieder gewonnen hatte. Hör auf, dachte Dietze. Hör bitte auf. Aber der alte Mann machte weiter und diesmal verlor er. Ein leichtes „Oooh“ wehte zu ihrem Caféhaustisch herüber. Ein Geräusch, das Dietze aus dem Harbigstadion kannte, wenn Dynamo eine Chance verpasst hatte.   Die beiden alten Leute verließen die Traube, aber nur für ein paar Schritte. Der alte Mann blieb stehen, er war jetzt vielleicht noch zehn Meter von ihrem Tisch entfernt. Sein Gesicht fror ein, er schien über irgendetwas sehr Wichtiges nachzudenken, dann traf er eine Entscheidung. All das sah man wie in einem Film. Er öffnete die Gürteltasche an seinem Bauch und fingerte daran herum, seine Frau, die bereits weitergegangen war, merkte, dass etwas fehlte, drehte sich um und lief mit flinken Schritten auf ihren Mann zu, einen aufgescheuchten Blick im Gesicht. Aber es war zu spät, der Mann hatte bereits zwei Hundert-Euro-Scheine in der Hand, vielleicht waren es auch drei. Ihr Reisegeld, dachte Dietze. Die Frau redete auf ihn ein, aber der Mann schien sie nicht mehr zu hören. Er lief, die Geldscheine in der Hand, zurück in die Traube.
Seine Frau wartete davor darauf, dass er verlor.
Es dauerte nicht lange, aber lange genug, so dass Markus Dietze sein Leben an sich vorbeiziehen sah, wie ein Ertrinkender. Er dachte an Radeberg und an die Stiefel seiner Tochter, und seltsamerweise dachte er an den russischen Oligarchen, von dem er vor ein paar Tagen gelesen hatte, weil dem Mann die Hälfte irgendeiner krisengeschüttelten zypriotischen Bank gehörte. Ein ehemaliger Arzt aus dem Ural, der sein altes Leben verlassen hatte, um mit der Produktion von Kali so reich zu werden, dass ihm mittlerweile das größte Penthouse in Manhattan gehörte, die Villa von Will Smith auf Hawaii sowie der AS Monaco. Es hieß, er denke im Moment darüber nach, Wayne Rooney für seinen Fußballverein zu kaufen. Was Markus Dietze am meisten bewegt hatte, war, dass der Mann so alt war wie er. 44 Jahre. Es war nicht so, dass sich Markus Dietze nach einer Villa auf Hawaii sehnte und schon gar nicht nach einem Oligarchenleben, es war einfach das, was er in dem Moment dachte, als der Mann in der beigefarbenen Weste sein Urlaubsgeld verspielte.
Als es vorbei war, liefen die beiden alten Leute direkt an ihrem Tisch vorbei. Der Mann sah mit leerem Blick in Richtung Alexanderplatz, die Frau hielt gerade so mit ihm Schritt. Dietze drehte sich nach ihnen um, sie wurden immer kleiner, in seinem Ohr sang Udo Lindenberg: „Mit dreizehn ist er das erste Mal von zu Hause weggerannt. Er wollte nach London. Und später nach Paris.“
Das nächste, was Markus Dietze hörte, war die Stimme von Lars. „Wollen wir langsam, Kinder?“
Am Nachmittag fuhren die vier Radeberger Berlingäste in den Zoo und sahen sich weitere Fische an. Die Frauen wären anschließend gern ins Café Kranzler gegangen, aber sie fanden es nicht mehr und so gingen sie ins Romanische Café, das im Erdgeschoss des neuen Waldorf Astoria eingerichtet worden war. Lars las ihnen aus seinem Handy vor, dass hier früher Kisch, Brecht und Mascha Kaleko eingekehrt waren. Die hätten sich heute sicher einen anderen Platz gesucht, dachte Dietze. Schon allein, weil Kisch und Brecht nicht hätten rauchen dürfen.
Dietze schwieg, und wenn er es gekannt hätte, hätte er dabei an ein Gedicht gedacht, das Mascha Kaleko hier einst schrieb.
„Es ist so anders als in früheren Tagen.
Wir spüren beide stumm: das ist der Rest.
Frag doch nicht so. Es lässt sich vieles sagen,
Was sich im Grunde doch nicht sagen lässt.“
Sie fuhren mit dem 200er-Bus zurück zum Hotel, Lars erkämpfte ihnen vier Plätze in der ersten Reihe, Oberdeck.
Den letzten Abend verbrachten sie auf dem Fernsehturm. Die flimmernde Stadt drehte sich zu ihren Füßen, Lars erklärte die optimalen Rückreisepläne für eine zweinullsechser Fahrzeit. Als Dietze zur Toilette ging, entdeckte er am anderen Ende der Kugel den alten Mann und seine Frau. Er erkannte sie nicht gleich, denn sie sahen anders aus, großstädtischer, und sie waren nicht allein. Neben ihnen saß ein junges Paar. Es waren die Frau in der roten Lederjacke und einer der Komplizen des Hütchenspielers. Auf dem Tisch stand eine Champagnerflasche, in einem Eiskübel daneben wartete die nächste. Die junge Frau lachte. Dietze verharrte einen Augenblick im Gang, weil er verstehen wollte, was er sah. Irgendwann schaute der alte Mann zu ihm auf, schien einen Moment nachzudenken und zwinkerte ihm dann zu. Offenbar hatte er doch noch gewonnen. Es gab kein Ende, das Markus Dietze erklären konnte, und das war das Beste, was er von seinem Osterausflug heimbringen würde. Die Tür zur Welt stand weit offen.
Er zwinkerte zurück, dann ging er wieder zu den anderen.

 

Fotografie: W. Eugene Smith!

alle Fotos: W. Eugene Smith

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Der Amerikaner W. Eugene Smith (1818-1878) hinterließ ca. 3000 Ausstellungsabzüge, mehrere Hunderttausend Arbeitsabzüge, 1600 Tonbandaufzeichnungen, 25000 Schallplatten, 8000 Bücher, Hunderte von Briefen, unzählige Notizen (insgesamt Material mit einem Gewicht von 20 Tonnen) und 18 Dollar – ein Mythos !

Nach einer schwierigen Jugend arbeitete er nach dem Zweiten Weltkrieg als Fotojournalist für das Life Magazin. Fünfzig Aufträge führten Smith in alle Welt. Er verbrachte immer zu viel Zeit und verbrauchte zu viel Filmmaterial für seine Reportagen als die Zeitschrift, die als treibende Kraft des amerikanischen Journalismus galt, veranschlagte. Jedem Fotoessay gingen  umfangreiche Streite mit den Redakteuren voraus. Der Fotograf gab sich nicht damit zufrieden nur seine von allen hochgelobten Negative abzugeben, er wollte bis zum Layout der Veröffentlichung mitwirken.
In seiner späteren Arbeitsperiode bei der Agentur Magnum entstand die sagenhafte Serie über die Stahlarbeitermetropole Pittsburgh (1995). Für den Auftrag  (ca. 100 Abzüge) hatte er drei Wochen Zeit. Smith machte sich in dieser Frist mit der Stadt bekannt, drückte nicht einmal auf den Auslöser. Erste Ergebnisse wurden nach zwölf Monaten geliefert, und die Arbeit an diesem Thema dauerte weitere drei Jahre. Es entstanden ungefähr 2000 Prints (später 600 Masterabzüge). Der eigenwillige Kauz schaffte es nicht, diese Herkulesarbeit abzuschließen. Die Magazine Life und Look boten 20000 Dollar (das wären heute ungefähr 95000 Dollar) für die Serie – Smith hatte große finanziellen Probleme… Ende 1958 veröffentlichte Photography’s Annual die Arbeit für 1800 Dollar. Seit 1957 lebte Smith in einem heruntergekommenem Loft in New York, einem nächtlichen Treffpunkt von Jazzmusikern. Aus dem Fenster seiner Wohnung im 4. Stock machte er 20000 Fotos.
Der berühmte Künstler war ein Einzelgänger und Besessener. Er (oder seine Assistenten) saß tagelang ununterbrochen in der Dunkelkammer, um den einen perfekten Abzug zu erarbeiten.
Der Dokumentarfotograf Smith manipulierte teilweise: er stellte Szenen und veränderte Negative.
1968 gab Aperture eine Monografie mit 120 Aufnahmen heraus: “His Photographs and Notes”, und W. Eugene Smith lebte wieder auf. 1971 zeigte das Jüdische Museum in New York eine erfolgreiche Ausstellung mit 642 Bildern unter dem Titel “Let Truth be the Prejudice” (Das Vorurteil lautet Wahrheit). Während der Eröffnung saß der manische Arbeiter in seinem Loft und machte hektisch Abzüge. Unkonventionell benutzte er Rahmen und Passepartouts, die nicht passten – in wilder Anordnung. 1971 reiste Smith mit seiner zweiten Ehefrau, einer Japano-Amerikanerin, nach Japan. Dort erfuhren sie vom Schicksal des Fischerdorfs Minamata, in dem die Bewohner durch mit Quecksilber verseuchte Abfälle vergiftet waren. Es entstand die Ikone der Fotografiegeschichte “Tomoko Uemura in her Bath”, ein viel diskutiertes Meisterwerk von W. Eugene Smith (Bild 2 im Anhang).
Trunksucht, Medikamentenmissbrauch, Schlafverzicht, Armut und Arbeitswut schädigten seine Gesundheit nachhaltig.
Der Jahrhundertkünstler erlitt in einem kleinen Geschäft in Tucson 1978  einen tödlichen Schlaganfall, als er Katzenfutter kaufen wollte.
Sein “Nachlassverwalter” im Centrer for Creative Photography Tucson William S. Johnson meint: “Vielleicht ist sein größtes Meisterwerk nicht eine seiner Fotografien, sondern seine gesamte Karriere.”
(Quelle: Phaidon Verlag: W. Eugene Smith)

Fotografie: Bruce Gilden-Fotos in Berlin!

Fotos: Bruce Gilden

Fotos: Bruce Gilden

Bruce Gilden_2

Wenn es eine Champions League der Straßenfotografie gibt, dann gehört Bruce Gilden (natürlich Agentur Magnum) mit Sicherheit dazu!
Neben altbekannten Motiven aus der 60er Jahre-Serie “Coney Island” (Vintageabzüge) werden Bilder aus den beiden letzten Jahren präsentiert. Diese zeigen Amerikaner, die das Leben arg zeichnete.
Ich bin wahrlich kein Freund der großen Formate, aber die in der Mitte-Galerie ausgestellten Riesenprints (Verkaufspreis 10000 €) ziehen mich in ihren Bann. Man wird von den angeblitzten, eng beschnittenen Porträt geradezu aufgesogen, wenn der Betrachter seinen optimalen räumlichen Abstand zum Kunstwerk findet.
Interessant und neu für mich war, dass man in den Vereinigten Staaten keine Erlaubnis benötigt, um Leute auf der Straße zu fotografieren und die Bilder dann zu veröffentlichen (Information des Galeriemitarbeiters).
Zu seinen Riesenprints hier ein Artikel seiner Ehefrau aus dem Magazin Vice Vol. 9, Num. 11:

http://www.vice.com/de/read/frittiertes-amerika-0000610-v9n11?Contentpage=-1

Robert Morat Schauraum, Kleine Hamburger Str.2, nur sonnabends 12-18 Uhr

Die Filme auf der Website des Künstlers sind sehenswert!

Fussball: Jemand teilt unsere Leidenschaft

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein Auszug aus einem Text von Detlef Kuhlbrodt:

“Nach dem Spiel”
Montagabends spiele ich Fußball. Ich bemühe mich dabei, nicht mit meinen Spielkameraden zusammenzustoßen. Überhaupt ist es eine Unverschämtheit der Natur, nicht mehr so schnell zu sein wie vor zwanzig Jahren. Aber eigentlich auch ganz okay. Und am besten ist immer die Afterhour; wenn man untere der Dusche steht, die viel besser ist als die zu Hause, wenn der ganze Körperquatsch schön wehtut. Weil Sport die Gifte abbaut, schmecken Bier und Zigaretten danach viel besser als vor dem Spiel. Auch unterhält man sich gerne – gelöst fallen einem lustige Sachen ein. Selbst das Schicksal von Fußballvereinen wie Braunschweig oder Köln, das manche Kollegen bewegt, scheint nach dem Spielen interessant.
P.S. Sportfreund Kuhlbrodt kickt auch in der Autorennationalmannschaft Deutschlands.

 

Kino: “Ida”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Es soll Leute geben, für die ist eine Ankündigung eines neuen Schwarzweißfilms Grund genug, ins Kino zu rennen. Und wenn es sich dann noch um eine polnische Produktion handelt, gibt es kein Halten mehr. Auch wenn man weiß, oder weil man weiß, dass sich in einem kleinen Saal wenige Gleichgesinnte treffen werden.
“Ida” von Pawel Pawlikowski (geb.1957) lief in Berlin an. Dem in London (und anderen europäischen Städten) lebenden polnischen Filmemacher gelang ein großartiger Wurf!
Schon das Format ist heute ungewohnt – 4:3. Der Kameramann hat ungeheuer akribisch gearbeitet: Überall findet man ganz klare Horizontalen, Vertikalen, rechte Winkel. Alles bestechend schöne, glasklare Bildkompositionen. Die Gesichter immer spannungsreich aus der Mitte genommen. Die Ausschnitte stimmen millimetergenau (an einem Eisengitter im Hintergrund einer Szene einfach zu überprüfen).
Großer Wert wurde auf die Musik gelegt. Klassik, Jazz, Volksweisen…
Die brillanten und strengen Bilder lassen der behutsam und langsam erzählten, scheinbar unspektakulären Handlung mit einem überraschenden Ende allen Raum…

Ein außergewöhnlicher, intelligenter Independentfilm (von 2013): 

http://www.kino.de/kinofilm/ida/146783

 

Fotografie, Kunst: Zentralfriedhof Wien

Zeichnung: Anuschka Beese, Foto: Jabs

Zeichnung: Anuschka Beese, Foto: Jabs

Anuschka Beese hat ein Bild nach einem Foto gezeichnet.

Die Aufnahme entstand bei einem Spaziergang auf dem Wiener Zentralfriedhof. Der lustige, alte Mann erzählte mir, dass er seine Freunde besucht. Alle liegen dort unter der Erde. Er ist der verbliebene Getreue, obwohl er immer rauchte und soff.