Category Archives: Kino

Kino: Alexander Payne: “Nebraska”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Wenn die Straßen der Stadt spiegelglatt sind, empfiehlt es sich, mal wieder ins Kino zu gehen – die Säle sind nur mäßig besucht.

Alexander Payne: “Nebraska”
Ein alter Mann will seinen vermeintlichen Millionen-Lottogewinn abholen und startet zu Fuß einen 1500 km langen Trip nach Nebraska. Letztlich geht einer seiner Söhne das Abenteuer ein, ihn dorthin zu führen und nicht ins Altersheim zu stecken. Aber der Junge macht eigentlich eine Reise in die kleine, triste Welt seines archetypischen Vaters. Die wenigen tiefsinnigen Gespräche verebben.
Der etwas versoffene, mitunter leicht verwirrt erscheinende Alte jagt einem irrwitzigen Traum hinterher, und er lässt sich durch nichts davon abhalten. Jeder braucht etwas, für das es sich zu leben lohnt.
Das US-amerikanische Heartland wird in der erfrischend langsam erzählten und in Schwarzweiß gedrehten Geschichte als ein graues, trostloses Land gezeigt. Es gibt wenige Menschen, die alle nicht gerade schön sind, aber ziemlich bejahrt. Einfache Leute, stinknormal und irgendwie Verlierer, traurige Verlierer! Der Humor der Kleinstadttypen ist banal und selten subtil.
Das Geld wird als Chance für gesellschaftliche Anerkennung installiert.
Der Streifen endet mit einem wunderschönen und herzerweichenden Happy End, das die zwei Stunden zu einem klasse Kinonachmittag werden ließ.
Ich verstehe “Nebraska” als Appell an meine Generation: Beschäftigen wir uns mit den Gefühlen unserer Kinder und verbringen wir erfüllte Zeit mit ihnen!

Wenn ich übrigens den zumeist als schlimmen Vorwurf gebrauchten Aufschrei: “Du bist wie dein Vater!” höre, erfüllt mich das mit wohliger Genugtuung.
Anmerkung für Kalenderfreunde:
Zu “Nebraska” passt die Seite der 32. Woche des “Augenzeuge”-Filmzitatekalenders 2003/2014:
“Die alten Träume waren gute Träume – sie gingen nicht in Erfüllung, aber ich bin froh, dass ich sie hatte. (“Die Brücken am Fluss”)

 

Kino: “Blue Jasmine”

Karikatur: Janosch

Karikatur: JanoschWoody Allens aktueller Film konnte mich, im Vergleich zur landläufigen Kinokritik, nicht begeistern. 

 

Woody Allens aktueller Film konnte mich, im Vergleich zur landläufigen Kinokritik, nicht begeistern.
Die Geschichte erscheint vorhersehbar.
Ein grandioser Lichtblick ist die Schauspielkunst der unbeschreiblich schönen Cate Blanchett!
Übrigens gewann sie heute einen Golden Globe als beste Schaupielerin!
Falsch im Film ist übrigens Erklärung, dass Anthropologen keine Fossilien ausbuddeln, sondern Archäologen. Paläontologen suchen Fossilien.
Bei meinem Besuch eines Lichtspielhauses im Kiez bestätigte sich die eherne Kinoregel: Wenn man den Streifen genießen will, sollte man sich besser neben Liebespärchen als zu zwei miteinander befreundeten Mädchen setzen – die erklären sich mitunter nicht nur die Handlung, sondern beichten ihre amourösen Abenteuer der letzten Woche.

http://wwws.warnerbros.de/bluejasmine/

http://www.sueddeutsche.de/kultur/blue-jasmine-im-kino-aberwitziger-selbstbetrug-1.1811253

 

Kino, Uncategorized: An einem Montag, unserem Saunatag, kommt ein Film über die Sauna im Fernsehen…

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein trauriger Männerfilm über Männerfreundschaften finnischer Männerseelen, die sich in der Sauna öffnen.
Schwitzkästen scheinen sich bei diesem Volk sogar in Telefonzellen zu befinden oder im Beisein von Bären… In abgeschlossenen Räumen und bei großer Hitze werden schlimme Schicksale erzählt. So ernsthafte Texte begleiten mitunter lustigen Bilder.
Dabei hört man Sätze, über die es nachzudenken lohnt:
“Man bekommt nur so viel Unglück, wie man tragen kann.”
“Es gibt viele Arten der Liebe.”
Und ich muss zugeben, dass nackte Männer (nicht nur im Norden) wirklich nicht so toll aussehen.
Eine großartige Schlussszene beendet diese Dokumentation, in der man über die Rechtschreibung in den Untertiteln hinwegsehen muss:

http://www.arte.tv/guide/de/042650-000/nackte-manner-nackte-wahrheiten

Kino: Gedanken-Züge von Timo Novotny

alle Fotos: Walker Evans

alle Fotos: Walker Evans

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U-Bahnen sind Gedankenzüge!

Selten sah ich einen so intensiven Dokumentarfilm!

Grandios! Beeindruckende Bilder und unglaublich intelligente Texte, vortrefflich illustriert von einfühlsamer Musik (Sofa Surfers!). Die Dokumentation (OmU) ist einfach brillant gemacht!
Vielleicht schon pittoreske Beobachtungen in den Zügen und ein Loblied auf die U-Bahn von New York (24 Stunden in Betrieb), Los Angeles, Tokio (lautes Telefonieren ist verboten), Hongkong und Moskau (majestätische Stationen). In der japanischen Hauptstadt drücken “Pusher” Passagiere in die überfüllten Waggons, in denen “Grapscher” ihren sexuellen Perversionen freien Lauf lassen. Eine Linie gilt als Eldorado für häufige rituelle Selbstmorde.
Es werden viele Geschichten erzählt – auch in wunderbar langen Einstellungen.
Ein Großteil der Handlung spielt selbstverständlich im Dunkeln der Untergrundzüge, dazu lässt die oft mystische Musik die Gedanken des Zuschauers mäandern…
Einiges erinnert an die Kinoikonen von Jim Jarmusch: an die Nachtszenen und Hip Hop-Klänge bei Ghost Dog, an die Kamerafahrten bei Down by Law…
Ganz anders als die Antlitze in der Subway-Serie des legendären amerikanischen Fotografen Walker Evans kommen die Gesichter im Film daher, das verwundert kaum: Die Motive stammen nicht aus den Dreißiger Jahren, sondern aus dem Jahr 2012.
Timo Novotny drehte einen modernen Streifen: spektakuläre Ansichten, rasante Schnitte, Zeitraffereinstellungen, dynamische Anschnitte, ungewöhnliche Kameraperspektiven (Weitwinkelaufnahmen aus Bodennähe) korrespondieren immer angenehm mit den inhaltlichen Aussagen.
Dieses Werk sollte man wirklich genießen – auch weil unzählige Denkanstöße geliefert werden.

Ein New Yorker U-Bahn-Poet rezitiert:
“Aus einem grauen Himmel kam ein hellblauer Vogel.
Er setzte sich auf meine Fensterbank, und für einen Moment lang, nicht länger als ein Sonnenstrahl in einer Welt der Zeit, blickten wir einander an.
Dann hob er seine blauen Flügel und kehrte ins Grau zurück.
Ich kämmte mein Haar, putzte meine Zähne.
Ich zog mich an. Danach trank ich meinen Morgentee und ging zur Arbeit.
Als das Grau zu Gelb geworden, und von Gelb in ein sanftes, zartes Braun übergegangen war,
packte ich meine Sachen und ging nach Hause.
Ich wollte nachsehen, ob er abends wiedergekommen war.
Warum? Das kann ich nicht so recht sagen.
Aber vielleicht ist es das, wohin die Einsamkeit führen kann.
Um sich dem Tag zu stellen, braucht man Vertrauen und die Einstellung, weiter machen zu wollen.
Vielleicht kann die Welt des Verstandes die Antriebskraft sein, Gott, oder irgendetwas… Vertrauensvolles!
Doch was auch immer man sagt: Die Existenz in diesem gefahrvollen Leben erfordert Vertrauen!”
Zitiert wird auch Winston Churchill: “Wir formen unsere Gebäude und danach formen unsere Gebäude uns.”

Fotografie, Kino: Ich werde nicht müde, die Dinge, die ich liebe, zu preisen: Henri Cartier-Bresson

Foto links: Henri Cartier-Bresson, Foto rechts: Jabs

Foto links: Henri Cartier-Bresson, Foto rechts: Jabs

“Wenn Gott Fotos machen würde, sähen sie aus wie diese!”
Für Henri Cartier-Bresson gilt wohl der Satz, den Saint-Exupéry den kleinen Prinzen sagen lässt: “Man sieht nur mit dem Herzen gut.” So ist er offen für die Schönheit der Welt.
Was der Großmeister auf seinen Film bannt, ist unglaublich! Und wie er das macht ist in dieser Dokumentation zu bewundern: Mit geradezu grazilen Schritten umtanzt er die Leute auf der Straße.
“Fotografieren heißt jagen ohne zu töten.”

http://www.youtube.com/watch?v=VR7JPiLyDGk

Fotografie, Kino: Robert Frank

Foto: Robert Frank

Foto: Robert Frank

Leaving Home, Coming Home – A Portrait of Robert Frank (2005)
Ein Dokumentarfilm über das bewegte Leben des US-amerikanischen Großmeisters, der die Kameraleute auch mal unwirsch abweist: “Die Bilder sollen sprechen, nicht ich!”
Der Streifen stimmt traurig, wenn Robert Frank das Verschwinden vieler schöner, früher dokumentierter Plätze in New York feststellt oder den Verlust seiner Kinder beklagt.
Interessant, dass der wegen seines eine Nation charakterisierenden Bildbands “The Americans” (Vorwort Jack Kerouac) weltberühmte Fotograf auch filmte (die Schriftsteller der Beat Generation, die Stones).

http://www.youtube.com/watch?v=bt97Jomj5nw

Kino: Kinotage für Cineasten und verliebte Paare

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Wer ungestörte Vorstellungen im Kino um die Ecke erleben will, sollte in Berlin die Tage zwischen dem Weihnachtsfest und Neujahr nutzen! 

Zu dieser Hochzeit der Filmfreunde sind die Lichtspielhäuser traditionell angenehm spärlich besucht.

Dem 60-jährigen, aber anscheinend nicht alt werdenden Kultregisseur Jim Jarmusch mit dem famosen Musikgeschmack gelang wieder mal ein großartiger Wurf: “Only Lovers Left Alive” ist gerade angelaufen!
Eine traurigwunderschöne Vampirgeschichte und ein richtiger Liebesfilm. Der Meister spielt ja gern mit großen Themen: “Dead Man” – Western, “Ghost Dog” – Samuraifilm, “Down by Law” – Gefängnisausbruch, nun bearbeitet er das Sujet der ewigen Blutsauger mit spitzen Zähnen.
Leider dreht  J. J. nicht mehr in Schwarzweiß, erstmals sogar digital. Trotzdem faszinieren über zwei Stunden tolle Bilder, der Mann muss augenscheinlich die Fotografie lieben – sorgsame Draufsichten begeistern neben seinen bekannten Kameraparallelfahrten. Die Bilder aus dem scheinbar menschenleeren Detroit beeindrucken ungemein. (Das Michigan Theatre war ein Kino mit 4000 Sitzplätzen und ist heute ein Parkhaus.) Hier lebt zurückgezogen ein Technik (Tonbandgeräte, Schallplatten, Verstärker) und wertvolle alte Instrumente liebender Undergroundmusiker (früher arbeitete er für Franz Schubert, heute macht er Trauermusik). Seine Frau kommt aus der Altstadt Tangers. Es berührt, wie liebevoll diese Frau (die brillante Tilda Swinton!) ihre Bücher behandelt. Die Wohnungen der beiden Vampire sind so angenehm verräumt, man würde sich dort bestimmt sehr wohlfühlen. Und das seit Jahrhunderten einander treue Liebespaar mit manchmal blutigen Lippen ist so kultiviert, so gebildet. Es leidet zu allen Zeiten unsäglich unter der Dummheit der Menschen (das sind hier die “Zombies”). Heute ist die Welt, in der sie existieren, von Verfall geprägt: Die Bevölkerung ist ungebildet und von Medien verblödet, die Umwelt wird vergiftet (“Ich habe keine Helden”, “Bescheidenheit bringt dich doch nirgendwo hin!”). Die selbstverständlich in der Nacht angesiedelte Story dieses Geniestreichs erzähle ich natürlich nicht.
Tolle Musik führt durch die Handlung: Sqürl, das ist übrigens die Band von Jim Jarmusch! Bleibenden Eindruck hinterließen die wahnsinnigen Augen Tilde Swintons als sie unbedingt ihr Gläschen Blut braucht.
“Ein Haar in der Suppe” habe ich gefunden – bei der deutschen Synchronisation. Für meinen Geschmack passen einige zeitgenössische Wörter/Sätze nicht recht in den Duktus der sonstigen Sprache, sie störten mich: “Baby”, “Scheiße”, “Ich will Spaß haben”, “Wie schräg ist das denn?”, “Fickt euch!” (obwohl das passendere “Fuck you” auch vorkommt), aber man kann ja die untertitelte Originalfassung ansehen.
Übrigens wird auffällig oft ein Mobiltelefon mit dem gut sichtbaren “angebissenen Apfel-Logo” in die Kamera gehalten…
Am Schluss stellt die Hauptfigur die Frage zur Lage der heutigen Gesellschaft: “Sind die Ölkriege schon vorbei? Haben die Wasserkriege schon begonnen?”

http://www.spiegel.de/kultur/kino/jim-jarmusch-film-only-lovers-left-alive-a-940657.html

 

Kino, Musik: “Inside Llewyn Davis”

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Ein neuer Streich, ein Paukenschlag der Gebrüder Coen ist gerade angelaufen – Independent-Kino des obersten Segments (Grand Prix Cannes 2013)!
Angelockt durch das gut gemachte Plakat zog es mich in eine Nachmittagsvorstellung des Kinos um die Ecke. Im kleinsten Saal saßen nur noch vier weitere Zuschauer, die waren übrigens noch älter als ich. Vielleicht verständlich, wenn man sieht, dass es um einen Folksänger im New Yorker Greenwich Village im Jahr 1961 geht.
Dabei erzählt der Film eine traurig-schöne Geschichte intelligent und mit wunderbaren, atmosphärischen Bildern illustriert. Die Farben passen: sehenswert alt und warm, wie mit Herbsteindrücken gemalt.
Klasse sind die Szenen in einem kleinen Club. Da sitzen Leute an winzigen Tischen, trinken Kaffee, rauchen unaufhörlich und lauschen der Musik (Filmzitat: “Was nie neu war und nie alt wird, nennt man Folk.”) Beeindruckend ist, dass in dem Film die Songs immer bis zum Ende gespielt werden.
Typisch für die Coen-Filme sind die unzähligen skurrilen Gestalten, die auftreten – unschlagbar der mürrische Vater des Musikers. Den unglücklichen Hauptdarsteller gibt Oscar Issac. Er spielt und singt brillant. Genauso gut agiert auch eine Katze, die eine wichtige Rolle besetzt.
Das Thema ist die Schilderung des andauernden künstlerischen und menschlichen Scheiterns eines doch sympathischen Verlierers.
Zum Schluss tritt in dem Club noch Bob Dylan auf, dessen Karriere startet, kurz nachdem die Laufbahn von Llewyn Davis abbricht ( “Wenn man so müde ist wie ich, hilft auch ausschlafen nicht mehr.”)
Ich glaube nicht, dass der Streifen ein absolutes Meisterwerk ist, aber bestimmt interessantes und mitreißendes Kino.
(Jedenfalls habe jetzt ich auch den aktuellen Popstar Justin Timberlake kennengelernt.)
Unterm Strich geht es ums Künstlerdasein:
Nicht alle Talente haben Genie.
Und wahrscheinlich werden nicht mal alle Genies erkannt.

 

Fotografie, Kino: Saul Leiter

Fotos: Saul Leiter

Fotos: Saul Leiter

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“In no great Hurry – 13 Lessons in Life with Saul Leiter” von Tomas Leach, der britische Dokumentarfilmer zeichnet ein ein liebevolles Porträt des Pioniers der Farbfotografie.
Der erscheint als humorvoller, gelassener, alter Mann, sich einer großen künstlerischen Karriere vehement verweigernd.
Im Berliner Kino in der Brotfabrik (19 Uhr) wird die englische Originalfassung (ohne Untertitel) gezeigt – die habe kein Wort verstanden. Bestimmt achtete ich deshalb besonders auf die Filmmusik (von Mark Rustemier), die ich großartig fand. Dem häufigen Lachen des zahlreich erschienenen Publikums nach zu urteilen gab der sympathische Fotograf eine Vielzahl an witzigen Kommentaren ab. Saul Leiter sitzt in einem herrlichen Durcheinander seines New Yorker Arbeitszimmers und bricht ständig in lauthalses Lachen aus, er amüsiert sich anscheinend über seine eigenen Gedanken. Dabei wackelt die aufnehmende Handkamera bedenklich.
Fotografisch beeindruckten mich besonders die Bilder bei Schneefall und die Spiegelungen in Schaufensterscheiben, sie erzeugen eine anmutige oder märchenhafte Stimmung.

http://www.youtube.com/watch?v=J7arEQR8PdA