Lesung am 01.09.2020, um 19:30 Uhr, in der Vereinskneipe von Bero Mitte Berlin (Kleine Hamburger Straße)
Category Archives: Bücher
Bücher: Hermann Hesse
Bücher: Lutz Seiler: “Stern 111″
“Stern 111″ von Lutz Seiler wurde hoch gelobt und kontrovers diskutiert.
Natürlich bin ich voreingenommen, spielt die Geschichte doch in meinem Kiez, sogar unser Wohnhaus findet Erwähnung. In der Rykestraße (Wohnung des Romanhelden) ist mein Stammlokal und im Haupthandlungsort – der Assel – tranken wir Anfang der Achtzigerjahre so manches Bier.
Wie alle Altersgenossen habe ich die beschriebene Zeit sehr bewusst erlebt. Die Wende ’89 eröffnete plötzlich wahnsinnig viele Chancen etwas Neues zu versuchen. Gerade im Beruf witterten einige Ostdeutsche die Möglichkeit des Wechsels in lange verwehrte Alternativen. So mancher in der DDR geborene Traum schien plötzlich wahr werden zu können.
Zitat: “Es ist nicht der Ort, es ist die Wanderung, die uns begründet.”
Mir hat das Lesen des Romans viel Freude bereitet. Der großartige, weil sorgfältige und offenkundig nachdenkliche Umgang mit der deutschen Sprache begeisterte mich.
Der Schlusssatz hallt lange nach: “War es nicht wunderbar, allein zu sein?”
Bücher: Notizen machen
Als Lutz Seiler in “Stern 111″ über das Bücherlesen schreibt, bemerkt der preisgekrönte Schriftsteller und tut mir damit gut:
“Er machte Exzerpte in sein Notizbuch. Das Abschreiben war eine Möglichkeit, sich dem Heiligen zu nähern. Es war die amerikanische Methode. Eine Art Gottesdienst.”
Bücher, Fotografie: H. C.-B. – Ein wahrer Großmeister der Fotografie!
Henri Cartier-Bresson
Man redet immer zu viel
Gespräche über das Leben, die Kunst und die Photographie
Das ist ein Büchlein für die Verehrer der hehren Kunst Henri Cartier-Bressons. In zwölf Interviews aus der Zeit von 1951 bis 1998 bemerkt der interessierte Leser, dass der göttlich Verehrte, wie jeder Sterbliche, seine Meinung im Zuge der Zeit ändert, er widerspricht sich auch mitunter. Man kann zahlreiche Gedanken über die Achtung, die Demut vor dem Leben nachvollziehen. Ihm geht es immer um die Neugier und das Mitgefühl für die Menschen.
Es ist angenehm, dass der große Fotograf bescheiden betont, dass das Gedöns um den ominösen “entscheidenden Augenblick” nicht sein Werk ist. Er stieß in den Memoiren des Cardinal de Retz (1613–1679) auf den Satz: »Es gibt nichts auf der Welt, das nicht einen entscheidenden Augenblick hätte.«
Ganz wichtig: Henri Cartier-Bresson verfolgt bei seiner Fotografie puristische Regeln: Leica-Kamera, Schwarzweißfilm, 50 mm-Objektiv, keine Filter, kein Blitzlicht, kein Bildbeschnitt – man muss sehen können! Allgegenwärtige Diskussionen um die Technik hält er für völlig überflüssig. Die Arbeit in der Dunkelkammer hat ihn nie sonderlich interessiert, die ließ er andere machen.
Zitate:
“Die Authentizität ist wohl die größte Tugend der Photographie.”
“Es gibt diejenigen, die erfinden und die, die offenbaren. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. In der Photographie gibt es diese beiden Aspekte ebenfalls. Mich interessieren nur die, die offenbaren; ich fühle mich solidarisch mit denen, die etwas entdecken wollen; für mich gibt es dabei viel mehr Risiken als beim Versuch, frei erfundene Bilder zu produzieren; und schließlich ist die Realität so reich!”
“Aber eines ist sicher: Photographieren ist keine Arbeit. Man arbeitet nicht, man lässt sich auf ein “anstrengendes Vergnügen” ein.”
“In der Photographie muss man wendig sein, spüren, dass etwas kommt, es erahnen.”
“Ich gebe keine Erklärung ab. Meine Photos sind da, ich kommentiere meine Photos nicht, ich habe nichts zu sagen. Man redet viel zu viel, man “denkt” viel zu viel. Es gibt Schulen für alles, in denen man alles lernt, und am Ende weiß man nichts, rein gar nichts. Es gibt keine Schule der Sensibilität, so etwas existiert nicht, ist undenkbar.”
“Kultur, Kunst… Ich weiß nicht. Ich habe gelebt. Es kommt darauf an, intensiv zu leben, auf die Intensität des Lebens.”
Bücher: Matthias Brandt “Blackbird”
Selten hatte ich so viel Wonne beim Lesen!
Matthias Brandt ist nicht nur ein herausragender Schauspieler, der Mine versteht es auch, faszinierend zu schreiben.
Er brilliert mit einer wunderbaren Beschreibung des Alltags eines 15-jährigen Schülers. Immer wieder fühle ich mich an die eigene Schulzeit erinnert. Der Autor trifft mit seinen Bemerkungen die Gefühlswelt der Jugend in den 70er/80er-Jahren vorzüglich! “Eine Krawatte ist ein Reisepass für Arschlöcher.” Seine Sprache widerspiegelt diese Zeit präzise. Damals angesagte Sprüche, Schlagwörter, Schimpfwörter finden Widerhall. Witzige Spitznamen: Pattex, Neandertal-Klaus – alles ist stimmig.
Schön empfand ich auch, dass ein Faksimile eines Liebesbriefes gedruckt im Buch erscheint. (Siehe oben.) Ja, selbstverständlich geht es bei den Halbstarken immerfort um die Liebe – die erste, die große. Brandt bearbeitet dieses herrliche Thema gebührend ausführlich: Ein Höhepunkt in “Blackbird”. “Küssen war, als ob ich eine Sprache zwar nicht konnte, mich aber von jetzt an nur noch in ihr unterhalten wollte.” Vieles dreht sich um eherne Freundschaften, wenig um die Schulstunden in einem Kleinstadtgymnasium. Die Beschreibung der Rauschgifterlebnisse lässt auf einschlägige Erfahrungen schließen. (Siehe oben.) Die Wichtigkeit der Popmusik in der Pubertät wird vollkommen richtig eingeschätzt. Berührend und spannend führt der Roman zum Ende, zu einer Beerdigungsszene. (Der Romanheld, ein Freund der Worte, findet den Begriff “Trauerfeier” völlig unpassend.)
(Musik, die sich der Verstorbene im Buch wünschte:
Der Schlusssatz ist unschlagbar: “Der Tropfen an Steffis Kinn wurde immer größer, und als er runterfiel, spiegelte sich in ihm die ganze Welt.“
Brandts Schreibstil verstehe ich in der Einfachheit, in seiner Klarheit als mehr denn angenehm, nämlich als erfrischend witzig. (In einigen Kapiteln stört mich die ständige Wiederholung der Vorvergangenheit in Form von “war gewesen”.) Inhaltlich begeisterte mich eine stringente Handlung und immer nachvollziehbare Gedanken. “Blackbird” ist wahrlich leicht zu lesen und bereitete selten erlebten Literaturgenuss!
Bücher: Ein ungewöhnliches Faschingskostüm
Matthias Brandt in “Blackbird”:
“Im Bus dachte ich darüber nach, seit wann Bogi und ich eigentlich befreundet waren. Wahrscheinlich seit dem Tag, als er – Weiberfastnacht durften wir an der Grundschule immer kostümiert zur Schule kommen – in einem roten Schlafanzug mit goldenen Querstreifen über der Brust vor mir auf dem Schulhof gestanden hatte, eine gelbe Wollmütze auf dem Kopf, an die grüne Spülschwämme genäht gewesen waren. Ich hatte ihn gefragt, was sein Karnevalskostüm darstelle, und er hatte geantwortet: Ausgelaufene Batterie.'”
Bücher: “Giovannis Zimmer”
Ein Buchtipp:
Der sprachlich brillante große Roman “Giovannis Zimmer” von James Baldwin ist eine hinreißende Liebesgeschichte, die wohl zum Literaturkanon des 20. Jahrhunderts gehört. Ein in der Zeit seines Erscheinens (1956) mutiges Werk eines grandiosen Dichters, das vieles aus dem Leben Baldwins spiegelt.
Meine Quintessenz: Das Geschenk, das der Schriftsteller allen Lesern macht, könnte Selbsterkenntnis sein.
Zitate:
“Niemand kann im Garten Eden bleiben. … Warum eigentlich nicht?”
“Vielleicht ist zu Hause gar kein Ort, sondern ein unwiderruflicher Zustand.”
“Ich erkannte und akzeptierte zum ersten Mal, dass Liebe mehr ist als eine allen Menschen gemeinsame Möglichkeit, mehr ist als das Unheil, … und auch mehr als nur lebensgefährlich: sie war auch meine Möglichkeit, und hier war nun, atmend und rülpsend neben mir, und sie war der Schlüssel zum Leben.”
“Mit der rätselhaften, scheußlich schlauen Inbrunst der frühen Jugend verachtete ich von da an meinen Vater.”
Bücher, Kunst: “Der Canaletto vom Prenzlauer Berg”
Noch mal Konrad Knebels Bilder vom Prenzlauer Berg: