Category Archives: Bücher

Bücher: Eine Aufforderung zum Nichtstun

Foto: Jabs

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Thomas Brasch “Der 27. September”

Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen. 
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet. 
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht. 
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen. 
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht. 
Ich habe keine Zeile geschrieben. 
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.

Bücher: Volker Weidermann “Ostende”

Foto: Jabs

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102-Zweig_Roth

In diesem Roman erfährt man viel über Kabalen in den Kreisen der jüdischen Schriftsteller, die 1936 ins Exil gingen und deren Bücher in Deutschland oft nicht gedruckt wurden oder verboten waren. Sie lebten ihr Künstlerdasein mit dem dräuenden Naziregime am Horizont z. B. an der Nordseeküste, in Ostende. Das Leben war für Stefan Zweig, Joseph Roth, Klaus Mann, Erika Mann, Egon Erwin Kisch, Irmgard Keun und andere unsicher, mitunter auch schwer zu ertragen. Die Stimmung erinnert an eine träge Schwüle vor einem gewaltigen Gewitter.

Das Buch ist besonders interessant für Literaturliebhaber, die die Werke der erwähnten Autoren kennen und noch mehr für diejenigen, die um die Charaktere und ihre Beziehungen wissen.
Zitat: “Dafür wird einer doch Schriftsteller, dass er die Welt anders sehen kann, anders wünschen kann, anders beschreiben kann, als sie ist und als sie sein wird.”

Bücher: Lutz Seiler: “Stern 111″

Foto: Jabs

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“Stern 111″ von Lutz Seiler wurde hoch gelobt und kontrovers diskutiert.
Natürlich bin ich voreingenommen, spielt die Geschichte doch in meinem Kiez, sogar unser Wohnhaus findet Erwähnung. In der Rykestraße (Wohnung des Romanhelden) ist mein Stammlokal und im Haupthandlungsort – der Assel – tranken wir Anfang der Achtzigerjahre so manches Bier. 
Wie alle Altersgenossen habe ich die beschriebene Zeit sehr bewusst erlebt. Die Wende ’89 eröffnete plötzlich wahnsinnig viele Chancen etwas Neues zu versuchen. Gerade im Beruf witterten einige Ostdeutsche die Möglichkeit des Wechsels in lange verwehrte Alternativen. So mancher in der DDR geborene Traum schien plötzlich wahr werden zu können. 
Zitat: “Es ist nicht der Ort, es ist die Wanderung, die uns begründet.” 
Mir hat das Lesen des Romans viel Freude bereitet. Der großartige, weil sorgfältige und offenkundig nachdenkliche Umgang mit der deutschen Sprache begeisterte mich.
Der Schlusssatz hallt lange nach: “War es nicht wunderbar, allein zu sein?”

Bücher: Notizen machen

Foto: Jabs (Kofferradio Stern 111)

Foto: Jabs (Kofferradio Stern 111)

Als Lutz Seiler in “Stern 111″ über das Bücherlesen schreibt, bemerkt der preisgekrönte Schriftsteller und tut mir damit gut:

“Er machte Exzerpte in sein Notizbuch. Das Abschreiben war eine Möglichkeit, sich dem Heiligen zu nähern. Es war die amerikanische Methode. Eine Art Gottesdienst.”

Bücher, Fotografie: H. C.-B. – Ein wahrer Großmeister der Fotografie!

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Henri Cartier-Bresson

Man redet immer zu viel
Gespräche über das Leben, die Kunst und die Photographie
Das ist ein Büchlein für die Verehrer der hehren Kunst Henri Cartier-Bressons. In zwölf Interviews aus der Zeit von 1951 bis 1998 bemerkt der interessierte Leser, dass der göttlich Verehrte, wie jeder Sterbliche, seine Meinung im Zuge der Zeit ändert, er widerspricht sich auch mitunter. Man kann zahlreiche Gedanken über die Achtung, die Demut vor dem Leben nachvollziehen. Ihm geht es immer um die Neugier und das Mitgefühl für die Menschen.   
Es ist angenehm, dass der große Fotograf bescheiden betont, dass das Gedöns um den ominösen “entscheidenden Augenblick” nicht sein Werk ist. Er stieß in den Memoiren des Cardinal de Retz (1613–1679) auf den Satz: »Es gibt nichts auf der Welt, das nicht einen entscheidenden Augenblick hätte.«
Ganz wichtig: Henri Cartier-Bresson verfolgt bei seiner Fotografie puristische Regeln: Leica-Kamera, Schwarzweißfilm, 50 mm-Objektiv, keine Filter, kein Blitzlicht, kein Bildbeschnitt – man muss sehen können! Allgegenwärtige Diskussionen um die Technik hält er für völlig überflüssig. Die Arbeit in der Dunkelkammer hat ihn nie sonderlich interessiert, die ließ er andere machen.
Zitate:
“Die Authentizität ist wohl die größte Tugend der Photographie.”
“Es gibt diejenigen, die erfinden und die, die offenbaren. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. In der Photographie gibt es diese beiden Aspekte ebenfalls. Mich interessieren nur die, die offenbaren; ich fühle mich solidarisch mit denen, die etwas entdecken wollen; für mich gibt es dabei viel mehr Risiken als beim Versuch, frei erfundene Bilder zu produzieren; und schließlich ist die Realität so reich!” 
“Aber eines ist sicher: Photographieren ist keine Arbeit. Man arbeitet nicht, man lässt sich auf ein “anstrengendes Vergnügen” ein.” 
“In der Photographie muss man wendig sein, spüren, dass etwas kommt, es erahnen.”
“Ich gebe keine Erklärung ab. Meine Photos sind da, ich kommentiere meine Photos nicht, ich habe nichts zu sagen. Man redet viel zu viel, man “denkt” viel zu viel. Es gibt Schulen für alles, in denen man alles lernt, und am Ende weiß man nichts, rein gar nichts. Es gibt keine Schule der Sensibilität, so etwas existiert nicht, ist undenkbar.” 
“Kultur, Kunst… Ich weiß nicht. Ich habe gelebt. Es kommt darauf an, intensiv zu leben, auf die Intensität des Lebens.”