Category Archives: Kino

Kino: Der Die Das

Foto: Jabs

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Ein großartiger Dokumentarfilm über Erstklässler in Berlin-Wedding und deren Lehrer, welche auch mal behaupten: “Ihr wisst doch, dass ihr nicht für die Lehrer oder die Schule lernt, sondern für euch, für euer Leben.” – Das habe ich in der Schulzeit für völlig doof gehalten, ich lernte nur für eine möglichst gute Zensur.

Beim Ansehen des Films von Sophie Narr fiel ich vor Rührung regelrecht um, als ein von seinem Vater getrennt lebender Junge auf die Frage, was er denn gern mit seinem Papa machen würde, antwortete: “Auto fahren.” Die Filmemacherin setzte nach: “Und wohin würdest du am liebsten fahren?” Der Junge lächelte und sagte: “Ins Paradies!”

Kino: 140 Minuten ganz großes Kino: “Victoria” – keine Sekunde zu lang!

Foto: Jabs

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Der über den grünen Klee gelobte Film “Victoria” ist ein Kinoerlebnis der besonderen Güte, so was habe ich noch nie gesehen! 

Ein Meisterwerk aus deutschen Landen wurde gerade mit Preisen überhäuft und das völlig zurecht. 

Ob ihm allerdings die Publikumsgunst zuteil wird, wage ich zu bezweifeln. Die besuchte Vorstellung gab der Befürchtung Nahrung, garantieren doch hiesige Produktionen aus den Rubriken lustige Alzheimerkranke, Altersheimerlebnisse rüstiger Senioren oder zeitgenössische Märchenfilme mit den Synchronstimmen Fernsehbekannter traditionell mehr zahlende Zuschauer.
Sebastian Schipper drehte “Victoria” in einer einzigen Einstellung (Kamera: Sturla Brandth Grøvlen!).
Dieser brillante Streifen hat mich rundherum mitgenommen. Die Geschichte wird unglaublich intensiv, aber stringent erzählt, sie kommt angenehm uninszeniert daher. Die überragenden Akteure sind immer authentisch, schauspielern nicht. Atemberaubendes und anhaltendes Tempo hält die Spannung des Filmfreundes ständig hoch. Manchmal wähnt man den Verlauf einem Ende zustreben – zack! – tut sich eine erneute Wendung auf. Das macht viel Freude, man kann sich der Wirkung der Filmhandlung gar nicht entziehen. 
Die Filmmusik begleitet kongenial: Nils Frahm und DJ Koze.
(Befremdlich war aber eine mir unerklärliche Kleinschreibung von Dingwörtern in den deutschen Untertiteln.)

Kino: “Bal – Honig”

Foto: Jabs

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2010 gewann “Bal – Honig” verdient den Goldenen Bären bei der Berlinale.
Tolle Erzählung, großartige Bilder und überragendes Schauspiel eines siebenjährigen Jungen!
Aber eins meiner zahllosen Vorurteile wurde bestätigt: Auch der beste Fernsehbildschirm kann die Wirkung der Kinoleinwand (gerade bei so bildgewaltigen Filmen) nicht ersetzen:

 

Kino: Verwirrendes Kino

Foto: Jabs

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Nur noch in ausgewählten Lichtspielhäusern:

“Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach”
Der aktuelle Streifen Roy Anderssons macht dem Zuschauer keine einfachen Geschenke, denn so sperrig der Titel ist, so verwirrend kommt die in 39 surrealen Episoden erzählte Geschichte daher.
Es gibt keine konsequente Handlung und sie erscheint mitunter absurd. Einzelne Bilder stehen mal für sich, einige Szenen finden doch eine Fortsetzung und vieles verstehe ich überhaupt nicht. Die Arrangements sind statisch und minimalistisch, erinnern oft an Edward Hopper-Gemälde. Die Einrichtung der Kneipen übertrifft in der Tristesse gar die der DDR-Mitropa-Bahnhofsgaststätten. Die Darsteller (viele Laien) gefallen schon mit einer äußeren Einzigartigkeit, die man sich scheinbar gar nicht besser ausdenken kann. Nicht neu ist, dass Trauerklöße in bestimmten Situationen auch rechte Spaßmacher geben können. Einige Sätze stehen wie Monolithe im Raum, werden ganz bewusst oft wiederholt, können den Kinofreund aber auch einlullen. Mir erscheint die Reduzierung der Farbsättigung des Film als Eiertanz. Der Anblick wird (sehr modern) blass, aber dadurch erscheinen viele Gesichter aschfahl – scheintot. Inhalt und Form kommen mir irgendwie artifiziell vor.
Übrigens gibt es auch einen Gewinner: Auf einer Fähre stirbt ein Mann, der gerade sein Menü bezahlt hatte. Nun rätselte die Mannschaft, wer denn das Essen übernehmen will. Da man eine Rechnung nicht zweimal buchen kann, soll es kostenlos weitergegeben werden. Eine Nebenfigur meldet sich, um wenigstens das nun schon schale Bier mit großer Freude zu trinken.
Herzhaftes Lachen erzeugen ein paar witzige Musikstücke.
Einen tieferen Sinn habe ich in dem skurrilen Film, der 2014, wie vom Feuilleton nicht unerwartet und von mir nicht nachvollziehbar, den Goldenen Löwen beim Festival in Venedig gewann, nicht gefunden.
Aber das ist bestimmt das Anliegen von Roy Andersson.

 

Kino: Mein Kinojahr 2014

Foto: Jabs

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Mein ganz großer Lichtblick des vergangenen Jahres war:

Ida von Pawel Pawlikowski

Der Rest reicht nicht mal für die so beliebte Rubrik “Zehn sehenswerte Streifen”:
Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit – Uberto Pasolini
Winterschlaf – Bilge Ceylan
Nebraska – Alexander Payne
Jack – Edward Berger
Only Lovers Left Alive – Jim Jarmusch
Das große Museum – Johannes Holzhausen
Finding Vivian Maier – John Maloof & Charlie Siskel
Das Salz der Erde – Wim Wenders & Juliano Ribeiro

 

Kino: “Winterschlaf” von Bilge Ceylan

Foto: Jabs

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Das Filmepos “Winterschlaf” von Bilge Ceylan hat 2014 in Cannes wohl zu Recht die Goldene Palme gewonnen.
Man muss einen wachen Tag erwischen und gute Kondition mitbringen, um dieses epische Leinwandereignis in der Gänze zu erleben. 196 außerordentlich spannende Filmminuten verlangen auch dem wohlwollenden Zuschauer einiges an Konzentration ab. Große Gedanken in schier endlosen, auch philosophischen Dialogen wollen verstanden werden. Beeindruckende Bilder unterstreichen die angenehm langsame Handlung. Das Teleobjektiv bringt die grandiosen Gesichter der alten Männer wirklich nahe, so herrlich faltig gezeichnet vom archaischen Leben in dieser kargen türkischen Landschaft. (Der Regisseur Ceylon ist auch ein international erfolgreicher Fotograf!) Viele Aufnahmen in der Dunkelheit oder bei pittoreskem Schneetreiben in einer Einöde verstärken visuell eine sich ausbreitende atmosphärische Kälte zwischen Hauptfiguren. Eine ständige inhaltliche Reibung zwischen alt und neu korrespondiert mit den räumlichen Gegebenheiten: Der Protagonist nutzt für seine Arbeit ein iBook im spartanisch eingerichteten Haus.
Thematisch geht es auch darum, dass Gutmenschen ihre menschliche Umgebung verzweifeln lassen können. Mitmenschen haben das Gefühl, zu ersticken. Es geht ständig um Schuld.
Die Hauptfigur versteht nicht, dass die Schwester vorgibt, das Böse zulassen zu wollen, um dem Übeltäter das Verwerfliche seiner Tat aufzuzeigen. (Ich übrigens auch nicht.) Am Ende scheint der narzisstische Held diese Welt wegen ihrer Unzulänglichkeiten zu hassen.
Vielleicht ist das Thema dieses von Gefühlen überbordenden Dramas die Frage des Verzeihen- und Nichtverzeihenkönnens.

http://www.spiegel.de/kultur/kino/winterschlaf-film-von-nuri-bilge-ceylan-a-1007422.html