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Bücher: 70 Jahre “Mosaik”
Bücher: Volker Weidermann: Mann vom Meer
Bücher: Weihnachtsgeschichte
Die 20-Uhr-Nachrichten Gottes
Eine Weihnachtsgeschichte von Alexander Osang 2024
Du siehst müde aus, Darling“, sagte Angelo. Ludwig nickte. Er roch eine leichte Fahne unter Angelos Parfüm. Champagner, dachte Ludwig. Weihnachtspiccolöchen. Er sah auf Angelos dunkelrot lackierte Fingernägel, die das Schwämmchen mit dem Make-up hielten, das sich langsam seinem Gesicht näherte. Ludwig schloss die Augen. Er atmete Angelos Duft ein. Molecule und Moët. Der Geruch des Maskenbildners. Klang wie ein französischer Arthouse-Film mit Charles Aznavour, dachte Ludwig. – For me, formidable.
Natürlich sah er müde aus. Er war um halb vier Uhr morgens aufgestanden, noch nicht nüchtern von den Schnäpsen, die er bis um eins gegen den Schmerz getrunken hatte. Vormittags hatte er noch eine halbe Stunde geschlafen. Doktor Hecht-Kurzschlaf hatten sie das im Studium genannt. Max jedenfalls hatte es so genannt. Doktor Hecht war in den 70ern ein Schlafwissenschaftler an der Charité gewesen, behauptete Max. Keine Ahnung, ob das stimmte. Max war im Sommer gestorben, im Schlaf in der Kopenhagener Straße, Hinterhof, erster Stock. Langschlaf.
Sie hatten seine Asche vor Rügen in die Ostsee gekippt, weil er das angeblich so gewollt hatte. Am Horizont standen Hunderte riesige Windräder im Meer wie ein Eisenwald. Ludwig war übel geworden auf dem Boot, ein Fischerkahn, der nur noch zu Seebestattungen rausfuhr, weil es keinen Fisch mehr gab in der Ostsee. Das Wasser hatte die Farbe von Max’ Asche gehabt. Ludwig spürte den Seegang wieder, das Schlingern. Das Leben.
Er öffnete die Augen und sah in den Spiegel.
Angelo stand hinter ihm und beobachtete sie. Sie sahen irgendwie bunt aus und abgekämpft, wie ein altes Papageienpaar. Angelo lächelte schief. „So schlimm, Lou?“, fragte er. Ludwig verstand, dass der Mann mit den rot lackierten Fingernägeln und dem grünen Samtpullover der nächste Mensch war, den er hatte. Niemand berührte ihn noch außer ihm.
Sein bester Freund war in diesem Jahr gestorben, vor drei Tagen war Anna ausgezogen. Heute Morgen hatte sie ein paar Sachen geholt und in ihren kleinen, silbernen Koffer gepackt. Sie wolle zu sich finden, sagte sie. In Marokko. An der Seite des stellvertretenden Leiters vom Sportressort, wie Ludwig wusste. Er durfte jetzt nicht weinen. In fünfundzwanzig Minuten begannen die Nachrichten. Angelo fegte mit einer weichen Bürste über die Schulter seines Sprecherjacketts. Dann drückte er ein bisschen an Ludwigs Haaren herum, die dünn wirkten, zuckerwattig.
„Ist ja bald vorbei“, sagte Ludwig und lauschte dem Satz nach, der selbstmörderisch klang, obwohl er eigentlich nur diese News-Schicht meinte, die Weihnachtszeit, das furchtbare Jahr. Seine Stimmung passte zur Weltlage. Überall Krieg, er zeigte die Miene dazu. Er strich sich über den hellblauen Latz, den er auf der Brust trug, damit Angelos Make-up nicht sein Hemd oder die Krawatte befleckte. Die Krawatte war grün-rot, die Weihnachtsfarben, herausgelegt von Frau Schneider, der Nachrichtengarderobiere. Der andere Mensch, der ihn ab und zu berührte.
„Bleibste über die Feiertage hier?“, fragte Angelo. Ludwig zuckte mit den Schultern. Er hasste Hamburg. Nach all den Jahren hasste er es immer noch. Die roten Klinker, der Wind, die Bahnhöfe, die Einkaufspassagen, die Halstücher der Männer, die Halstücher der Frauen, die Farbe der Elbe, die Farbe des Himmels darüber, die menschenleere Hafen City, dieser schnoddrige, gut gelaunte Hans-Albers-Dialekt.
Jawohl, meine Herren, die Sorgen sind fern
Wir tun, was uns gefällt
Und wer uns stört, ist, eh er’s noch begreift
Längst von uns schon eingeseift
Jawohl, meine Herren, darauf können Sie schwören
Irgendwann würde er jemanden, der ihn am Nachmittag mit „Moin“ begrüßte, mit einem stumpfen Gegenstand niederschlagen und anschließend schnell nach Berlin zurückfahren. Er konnte die Stadt nur mit Anna ertragen, die aus Hamburg stammte und ihn aufgenommen hatte. Getragen, geführt, behütet. Sie war der Grund, warum er hier lebte, nicht die „Tagesschau“.
Ludwig hatte wirklich keine Ahnung, wo er Weihnachten verbringen sollte. Sein bester Freund lag auf dem Grund der Ostsee, seine Frau flog mit einem Biathlon-Reporter vom Norddeutschen Rundfunk nach Marrakesch, seine Schwester Katja lebte mit Mann, Sohn und Hund in Osnabrück. Sein Schwager war ein katholischer Eiferer. Sein Neffe driftete in dieselbe Richtung ab. Benedict war siebzehn und verbrachte seine Freizeit mit den Ministranten von St. Katharinen. Vater und Sohn würden kurz vor Mitternacht zur Christmesse aufbrechen wie in einen Club. Seine Schwester und der Hund blieben zu Hause. Ihr Hund hieß Matthäus. Ein deutscher Terrier namens Matthäus.
Das schaffte er nicht. Katja und er waren Heiden aus Weißensee, sie hatten aus ihrem Kinderzimmerfenster auf den jüdischen Friedhof geschaut.
Er könnte seine Mutter in Berlin besuchen, aber die würde die ganze Zeit über sein Verhältnis zu Anna reden wollen. Setz dich doch mal hin, Ludwig. Erzähl. Ein Biathlonexperte, sagst du? Was macht der denn in Marokko? Im Winter? Am Ende würde er schuld daran sein, dass Anna mit diesem Sportreporter in die Sonne flog, um zu sich selbst zu finden. Genauso wie sein toter Vater immer schuld gewesen war, an allem. Der Arsch, wie ihn seine Mutter nannte.
„Und du?“, fragte er. „London“, sagte Angelo. „Wir gucken uns dieses virtuelle Abba-Konzert an. Voyage“. „Habt ihr das nicht schon im letzten Jahr gesehen?“ „Ja, zweimal. Und im Jahr davor auch“, sagte Angelo. Er wackelt mit dem Kopf, sah sich im Spiegel an. „Jakob liebt Abba“, sagte er. „The winner takes it all“, sagte Ludwig und lief zur Tür. „Ich seh dich vor den ‚Tagesthemen‘“, sagt Angelo. „Unsere Christmette“.
Ludwig lief über den Flur zu den Redakteuren. Es war erstaunlich leer und leise in der Redaktion. Sie waren alle auf Sylt, auf Mallorca oder in St. Anton. Der Latz wippte auf seiner Brust. Er schmeckte Angelos Make-up, als hätte er ein Stück Kernseife abgeleckt. In der Schlussredaktion saßen nur zwei einsame Menschen, auf die zu Hause niemand wartete. Marlis und Jonah. Sie sahen nicht auf, als Ludwig den Raum betrat. Er war nur der Mann, der ihre Worte aufsagte, dachte er. Ein Mann mit Latz. Irgendwann, wahrscheinlich sehr bald, würden sie ihn ersetzen. Durch einen Avatar, ein Bandmitglied von Abba vielleicht, Benny, mit Weihnachtskrawatte.
I’m nothing special, in fact, I’m a bit of a bore.
Angelo bräuchten sie dann auch nicht mehr. Hologramme müssen nicht geschminkt werden.
Marlis reichte ihm seinen Manuskriptstapel, obwohl er die Nachrichten seit ein paar Jahren vom Teleprompter las. Die Leute dort draußen, so sagte man, liebten diese Blätter. Es gab ihnen das Gefühl, dass die Welt stillstand. Für fünfzehn Minuten hielt die Zeit an. Alles, was passierte, war auf diesen Blättern festgeschrieben. Der Altersdurchschnitt des „Tagesschau“-Publikums lag bei 64 Jahren. Sie hatten alles gesehen.
„Zwei Schalten?“, fragte er. Jonah sah ihn ungeduldig an. Er schüttelte den Kopf und nickte. Abwechselnd. „Wie bitte?“, fragte Ludwig. „Drei“, sagte Jonah. „Bethlehem, Moskau und dieser Fredi, der mit dem ersten ICE von Berlin nach Paris unterwegs ist.“ – „Polarexpress“, sagte Marlis. Ludwig nickte und machte sich auf den Weg ins Studio. Als er in der Tür war, rief Marlis: „Peseschkian“. Ludwig bleib stehen und drehte sich zu ihr um. „Der iranische Präsident heißt Peseschkian“, sagte sie. „Nicht Petzeschkin, wie du ihn gestern genannt hast. Er ist kein Russe, Ludwig. Er heißt Massud Peseschkian.“ Marlis grinste und klatschte sich mit Jonah ab.
Er war froh, als er endlich auf seinem Sprecherstuhl saß. Angelo tauchte noch einmal auf, nahm ihm den Latz ab, tupfte die Stirn ab, strich ihm über die Schulter. „Sehen die eigentlich echt aus?“, fragte Ludwig leise. „Wer?“, fragte Angelo. „Diese Abba-Hologramme in London“, sagte Ludwig. „Wenn du mich fragst, sehen die aus wie die Fußballer auf der Playstation“, sagte Angelo. „Sie haben kein Leben in den Augen.“ Ludwig nickte. „Sie haben kein Herz“, sagte Angelo und verließ das Studio.
Sein Maskenbildner spielte Playstation. Die Welt war ein einziges Rätsel. Ludwig war jetzt ganz allein mit dem Land dort draußen. Die Scheinwerfer über ihm knackten leise. Auf dem Teleprompter stand sein erster Satz: „Guten Abend. Ich begrüße Sie zur ‚Tagesschau‘“. Sie hatten das „… meine Damen und Herren …“ vor ein paar Tagen herausgestrichen. Es war der Öffentlichkeit mitgeteilt worden wie eine Verfassungsänderung. Er hatte nie darüber nachgedacht, aber jetzt, am Heiligen Abend, vermisste er es doch. Den Charme der Bordkapelle der Titanic.
„Es war mir eine Ehre, heute Abend mit Ihnen musiziert zu haben, Gentlemen.“
So ging man unter. Er dachte an Max, auf dem Meeresgrund. Sie hatten zusammen vergleichende Literaturwissenschaften in Leipzig studiert. Max hatte seit zwanzig Jahren am großen Wenderoman geschrieben, während unter seinem Fenster die Ringbahn entlang donnerte. Zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee. Er war friedlich eingeschlafen, hatte sein Vater gesagt, der eine Apotheke im Mahlsdorf betrieb. Ludwig verstand erst jetzt, wie unheimlich dieser Satz klang, hier, in der Welt der schlechten Nachrichten.
„Peseschkian“, sagte Ludwig. „Peseschkian.“ Die Uhr lief, ein Countdown, dann der Gong. Sein Name: „Heute im Studio: Ludwig Leicht.“
Es hatte, ganz am Anfang, Diskussionen um den Namen gegeben. Klingt wie Donald Duck, Lucky Luke oder Bertolt Brecht, hatte der Programmdirektor gesagt. Er hatte wirklich Donald Duck und Brecht in einem Satz verwendet. Das war für ihn dasselbe. Ludwig hätte seinen Namen geändert, darauf kam es nun auch nicht mehr an. Sie ließen ihn schließlich in Ruhe, weil er aus Ost-Berlin kam wie die Helden von „Das Leben der Anderen“. Der Film hatte gerade den Oscar gewonnen.
„Guten Abend. Ich begrüße Sie zur ‚Tagesschau‘.“
Berlin, Damaskus, eine französische Insel im Pazifik, über die ein tödlicher Sturm fegte, Trump, Peseschkian, dessen Name diesmal klang wie Pedestrian, der Spaziergänger von Teheran. Weihnachtswahlkampf in Deutschland. Fritze Merz. Dann stand der ARD-Korrespondent in Moskau und erwartete zwei Fragen zum Krieg. Er hieß Viktor und trug eine große Pelzmütze, die vielleicht die Härte seiner Aufgabe illustrieren sollte. Wie bei den Wetterreportern, die sich bei tropischen Wirbelstürmen an Laternenmasten festbinden ließen. Hinter Viktor war die Kremlmauer zu sehen, auf Ludwigs Teleprompter lief langsam die Frage an: „Wohin bewegt die russische Armee ihre Soldaten, die sie aus dem Westen von Syrien abzieht, Viktor?“
Er aber fragte: „Wie feiern Sie heute Abend eigentlich Weihnachten, Viktor? In einem Land, das keine Weihnachten feiert?“
Viktor stand vor der Kremlmauer wie ein Donkosake und nickte. Anschließend beantwortete er einfach die Frage, mit der er gerechnet hatte. Ukrainekrieg, Westfront, der Einfluss von Israel und der Türkei auf Syrien. Der harte Winter an der Front. Vielleicht geht der Russe nach Libyen. Es war, als habe Ludwig gar nichts gefragt. Als gebe es ihn nicht. Als habe er kein Leben in den Augen. Kein Herz. Er hätte auch fragen könne, wie man einen richtigen Borschtsch zubereitet, welchen Einfluss Tolstoi auf die Kollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft hatte. Er hätte „I hope the russians love their children too“ von Sting anstimmen oder Gregori Kossonossow, den Wächter der Fliegerschule, imitieren können. Er hätte auf seinem „Tagesschau“-Schreibtisch Kasatschok tanzen können, ohne von Viktor an der Kremlmauer beachtet zu werden.
Und damit zurück zu Ihnen nach Hamburg.
Ludwig war ein Avatar. Er war Benny.
Im letzten Jahr tauchten von künstlicher Intelligenz hergestellte Dateien im Netz auf, in denen sich „Tagesschau“-Sprecher für ihre Nachrichten entschuldigten. Es gab auch so einen gefälschten Clip mit ihm, Ludwig Leicht, auf dem er bedauerte, monatelang unkritisch die Corona-Politik der Bundesregierung vermeldet zu haben. Sie hatten das ziemlich perfekt seinen Lippenbewegungen angepasst. Er hatte es sich einmal nachts angesehen, ziemlich angetrunken, und war sich nicht sicher gewesen, ob er das nicht wirklich alles gesagt hatte. Ehrlich gesagt hatte er sogar gehofft, es gesagt zu haben.
Nach neun Sendeminuten kamen sie zu dem ICE, der von Berlin nach Paris fuhr. Die erste Direktverbindung seit achtzig Jahren. Es war die klassische gute Nachricht im letzten Drittel der „Tagesschau“. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Vor einer Woche hatte Ludwig irgendeinen Beitrag über die Vorzüge von Seegraswiesen in der Ostsee angekündigt. Gut funktionierten auch Saurierfunde und wiederbelebte alte deutsche Handwerkstraditionen. Ludwig ging dann ein paar Schritte vom Schreibtisch weg, man sah seine Hosen und die Schuhe. Damit signalisierte er: Der lockere Teil beginnt. Unser Nachrichtenmann hat einen Unterleib.
Die ICE-Fahrt nach Paris dauerte acht Stunden. Man könne Balzac lesen, sagte der Kollege im Filmbeitrag. Er saß im Bordrestaurant, trank ein Gläschen Bordeaux und erzählte, was sich die Bahn fürs nächste Jahr vorgenommen hatte. Der Zug sei auf die Minute pünktlich in Paris angekommen, sagt er am Ende auf dem Bahnhof Paris Est. Genau vor einer Viertelstunde um 19.55 Uhr. Er strahlte in die Kamera, als habe er den ICE selbst gelenkt. „Was haben Sie denn von Balzac gelesen, Mark?“, hätte Ludwig gern gefragt. „Verlorene Illusionen?“
Er sah in die Kamera. Sein Text stand still, wollte von ihm vorgelesen, geschüttelt werden wie die Apfelbäume im Märchen. Und das machte er. Er schüttelte. Er fragte nach weiteren Verbindungen. München-Amsterdam. Berlin-Straßburg. Frankfurt-Bordeaux. Er ließ den Mann in Paris erzählen, dass auch die ICE-Strecke zwischen Hamburg und Berlin ab jetzt wieder mit hohem Tempo befahrbar war. Ohne Zwischenstopp in Uelzen. Es machte dem Kollegen offensichtlich Spaß, das Wort Uelzen in Paris auszusprechen. Er ließ ihn. Es war Weihnachten. Der Dax war auf Rekordhoch.
Ludwig dachte an all die Dinge, die er von diesem Stuhl aus im letzten Jahr verkündet hatte. All die Zahlen, die Prognosen, die sinnlosen Kurzinterviews mit Kollegen an der Front. Kandidaten, Kriege, Klimakatastrophe. Marlis, Jonah und ihre Kollegen schrieben ihm pro Sendung zwei Fragen auf, die er vortrug wie ein Drittklässler ein Gedicht. John Maynard war unser Steuermann. Aus hielt er, bis er das Ufer gewann. Er war die Maske der Berechenbarkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dachte Ludwig. Was passiert da eigentlich im Nahen Osten, Knut? Können Sie uns die verschiedenen syrischen Rebellen erklären, Peter? Welche Rolle spielt denn Pennsylvania bei den Präsidentschaftswahlen, Carola? Er moderierte die Sendung mit der Maus für die Generation 50plus.
Wie gefährlich ist eigentlich Hurricane Kirk, Viola?
In Wirklichkeit schossen ihm die Gedanken wie Leuchtfeuer durch den Kopf. So viele Gedanken, aber er saß eingeschlossen im Anzug, den ihm die Tagesschau-Garderobiere Marina Schneider herausgelegt hatte. Unfähig, der Welt mitzuteilen, was er dachte und fühlte. Ein Mann mit Locked-in-Syndrom. – „Ich weiß nicht, wer du eigentlich bist, Ludwig“, hatte Anna gesagt, bevor sie die Tür schloss. Er hatte keinen Text für eine Antwort.
Ans Ende ihrer heiligen Nachrichtenshow hatten Marlis und Jonah die Weihnachtsbotschaft des Papstes gestellt. Bilder aus Rom und dann, direkt vorm Wetter, die letzte Schalte an die Geburtsstätte Jesu. Bethlehem, wo jedes Jahr ein ARD-Reporter an der Mauer herumstand und vom Frieden redete, während aus dem Himmel im Nahen Osten immer mehr Bomben regneten. Der Krippen-Dienst des Ersten Deutschen Fernsehens. Meist waren es Urlaubsvertretungen, weil sich die Israel-Korrespondenten über Weihnachten von ihrem Knochenjob in der Heimat erholen mussten. Es gab keine Gans in Tel Aviv und auch keinen Schnee.
Heute Abend stand eine Frau vom Bayerischen Rundfunk an der Mauer zwischen Jerusalem und der Westbank. Cathrin Weiss. Sie war blond und etwas jünger als er. Sie sagte ihre Friedensbotschaft in einer schusssicheren Weste auf. Schalom, Cathrin.
Am Heiligen Abend im vorigen Jahr hatte der Papst seine Weihnachtsbotschaft mit den Worten begonnen: „Die Augen und Herzen der Christen aller Welt sind auf Bethlehem gerichtet. Dort, wo in diesen Tagen Schmerz und Stille herrschen, ist die seit Jahrhunderten erwartete Botschaft erklungen: Heute ist euch der Retter geboren. Er ist der Christus, der Herr.“
In der Nachmittagskonferenz hatte eine Redakteurin vorgeschlagen, daran zu erinnern. Man könnte das Papstsegment mit dem Bethlehemsegment verbinden. Die Christen auf dem Petersplatz, die Demonstranten in Jerusalem und die Bomben auf Syrien. Der Sinn des Segens. Es war allen zu kompliziert gewesen und wahrscheinlich auch zu unchristlich. Wer wollte schon den Papst widerlegen. Am Heiligen Abend. Sie machten also lieber das, was sie immer machten. Auf Nummer sicher gehen. Dafür waren Cathrin und Ludwig ja da. Die Urlaubsvertretung aus München und ihr Stichwortgeber aus Hamburg.
Auf dem Monitor stand die Frage: Wie viele Christen sind denn in diesem Jahr dem Ruf ihres Gottes nach Bethlehem gefolgt, Cathrin? Cathrin wartete. Sie nestelte an ihrer schusssicheren Weste. Er könnte sie natürlich fragen, was sie davon hielt, dass der beliebteste deutsche Politiker der Verteidigungsminister ist. Wieso lieben die Deutschen den Mann, der die Panzer befehligt, Cathrin?
Ludwig hatte vor ein paar Tagen „Konklave“ im Kino gesehen. Ralph Fiennes spielt einen zweifelnden Kardinal, der einen Papstnachfolger finden muss. „Gewissheit ist der tödliche Feind der Toleranz“, sagt der Kardinal an einer Stelle. „Gäbe es nur die Gewissheit und keinen Zweifel, so gäbe es kein Mysterium und folglich keinen Grund für den Glauben.“
Das wäre die Weihnachtsbotschaft, aber sie steckte fest im Nachrichtensprecherleib von Ludwig Leicht. „Ich weiß nicht, wer du bist, Ludwig“, hatte Anna gesagt. Er spürte Tränen aufsteigen. All das Elend in der Welt verband sich mit seinem eigenen.
„Ich heiße Leicht“, sagte Ludwig und sprengte den Panzer. „Lassen Sie sich bitte von meinem Namen nicht täuschen. Ich trage das Gewicht der Welt auf meinen Schultern. Mein bester Freund Max ist im Sommer gestorben. Er war 52 Jahre alt. Meine Frau hat mich heute Morgen verlassen. Ich bin ein Mensch, wissen Sie? Keine Nachrichtenmaschine. Ich lebe. Ich kenne Ihre Sorgen.“ – „Wirklich?“, fragte Cathrin vom Bayrischen Rundfunk.
In seinen Kopfhörern brüllte Marlis, er solle verdammt nochmal auf den Prompter gucken. Im Hintergrund hörte er Jonah mit Angelo streiten. Er zog sich den Kopfhörer aus dem Ohr und wartete, was passieren würde. Die Show lief noch anderthalb Minuten.
„Ich heiße Weiss, aber ich habe keine Ahnung“, sagte Cathrin vom Bayerischen Rundfunk. „Ich spreche kein Hebräisch. Ich spreche auch kein Arabisch. Ich habe Slawistik studiert.“ – „Ich hab vergleichende Literaturwissenschaften studiert, lese aber immer nur Nachrichten vor, die mir andere aufschreiben. Meine Frau sagt, sie wisse nicht, wer ich eigentlich bin“, erklärte Ludwig.
„Ich bin zum ersten Mal hier. Ich wohne in einem Hotel, das direkt an der Mauer steht. Die jüdischen Jungs am Grenzübergang waren mir sympathisch, die palästinensischen Kinder tun mir leid. Die amerikanischen Pilger sollten mir am nächsten sein, aber sie sind mir am fremdesten“, sagte Cathrin vom Bayerischen Rundfunk. „Im Foyer meines Hotels spielt ein automatisches Klavier die ganze Zeit ‚Fairytale of New York‘.“
Plötzlich hörte man im Studio das Intro, das Kneipenklavier der Pogues. Ludwig war sich sicher, dass Gott in die Tasten griff. Wer sonst. Ein Bierlied aus Bethlehem. Auf seinem Teleprompter lief der Text von „Fairytale of New York“ wie auf einer Karaokemaschine. Cathrin hatte die Musik offenbar im Kopfhörer. Sie wippte in Bethlehem. Ludwig Leicht begann zu singen.
Happy Christmas
I love you baby
I can see a better time
When all our dreams come true
Er merkte, wie sich eine Träne löste und langsam, langsam über seine geschminkte Wange lief, bis sie, eingefärbt in Angelos Make-up, schwer und beigefarben auf die Weihnachtskrawatte tropfte, die Frau Schneider ausgesucht hatte.
Anna Leicht stand an der Bar des Hamburger Flughafens und nahm einen Schluck von dem Weißwein, den sie bestellt hatte, um sich zu entspannen. Marcel war zum Zeitschriftenstand gegangen, um sich „ein bisschen Lesestoff“ zu holen, wie er sich ausgedrückt hatte. Sie nippte an ihrem Weißwein und bemerkte, dass die Leute an der Bar alle gebannt in eine Richtung schauten, zu den Bildschirmen, die an der Decke hingen. Dort sah man in Großaufnahme das Gesicht eines Nachrichtensprechers, das Gesicht ihres Mannes Ludwig, über das eine Träne lief, wie in dem Video „Nothing compares to you“ von Sinéad O’Connor. Der Barmann drehte den Ton mit der Fernbedienung hoch.
Man hörte Ludwig singen. I could have been someone, sang er. Ich hätte jemand sein können. Anna nickte zustimmend.
Dann wechselte das Bild zu einer Frau, die, wie man lesen konnte, in Bethlehem stand. Sie hieß Cathrin Weiss, war blond und sang ebenfalls. In der „Tagesschau“. Das war alles ganz erstaunlich.
You took my dreams from me, sang die Frau. Du hast mir meine Träume gestohlen. Richtig, dachte Anna. Dann wieder Hamburg. Ludwig.
I kept them with me babe
I put them with my own
Can’t make it all alone
Einen Moment lang war es still. „Ich schaff’s nicht allein“, sagte Ludwig leise. Die Kamera fuhr ganz dicht an sein tränennasses Gesicht. Das waren die besten Nachrichten, die sie seit langem gehört hatte, dachte Anna Leicht. Gut, dass sie ihren kleinen Koffer nicht aufgegeben hatte.
Ihr Mann sagte: „Und nun das Wetter für morgen, den 25. Dezember.“
Bücher: Benedict Wells “Die Geschichten in uns”
Bücher: Bonmot Karl Valentin
“Solang ich ich leb’, muss ich ja damit rechnen, dass ich weiterleb’.”
Bücher: Ein Gedicht
Wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen
Da zeigt die Stadt dir asphaltglatt
Im Menschentrichter Millionen Gesichter
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick
Die Braue, Pupillen, die Lider
Was war das? Vielleicht dein Lebensglück
Vorbei, verweht, nie wieder
Du gehst dein Leben lang auf tausend Straßen
Du siehst auf deinem Gang, die dich vergaßen
Ein Auge winkt, die Seele klingt
Du hast’s gefunden, nur für Sekunden
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick
Die Braue, Pupillen, die Lider
Was war das?
Kein Mensch dreht die Zeit zurück
Vorbei, verweht, nie wieder
Du musst auf deinem Gang durch Städte wandern
Siehst einen Pulsschlag lang den fremden Andern
Es kann ein Feind sein, es kann ein Freund sein
Es kann im Kampfe dein Genosse sein
Es sieht hinüber und zieht vorüber
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick
Die Braue, Pupillen, die Lider
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück
Vorbei, verweht, nie wieder
Bücher, Mattscheibe: Edgar Allen Poe feiert die “Kunst des Ungleichseins”
“The Raven”
erste Strophe:
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore—
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
“’Tis some visitor,” I muttered, “tapping at my chamber door—
Only this and nothing more.”
Bei Wikipedia findet man folgende Übersetzungen:
Die der Originalversion bezüglich Inhalt und Reim am nächsten stehende Übersetzung stammt von Carl Theodor Eben (1864):
“Mitternacht umgab mich schaurig, als ich einsam, trüb und traurig,
Sinnend saß und las von mancher längstverklung’nen Mähr’ und Lehr’ –
Als ich schon mit matten Blicken im Begriff, in Schlaf zu nicken,
Hörte plötzlich ich ein Ticken an die Zimmerthüre her;
„Ein Besuch wohl noch,“ so dacht’ ich, „den der Zufall führet her –
Ein Besuch und sonst nichts mehr.“
Hedwig Lachmann (1891):
“Eines Nachts aus gelben Blättern mit verblichnen Runenlettern
Tote Mären suchend, sammelnd, von des Zeitenmeers Gestaden,
Müde in die Zeilen blickend und zuletzt im Schlafe nickend,
Hört’ ich plötzlich leise klopfen, leise doch vernehmlich klopfen
Und fuhr auf erschrocken stammelnd: „Einer von den Kameraden,
Einer von den Kameraden!“
Maria Mathi (1954):
“Als ich einst zur Geisterstunde, leidend an der Lebenswunde,
überdachte alter Kunde Weisheit, alter Weisheit Lehr’,
als ich, schläfrig, kaum vermochte, länger wachzubleiben, pochte
an die Tür es leise, pochte sanft wie einer Magd Begehr.
„Oh, da kommt noch ein Besucher“, dachte ich, „wo kommt er her,
– in der späten Nacht noch her?“
“Einst, um eine Mittnacht graulich, da ich trübe sann und traulich
müde über manchem alten Folio lang vergess’ner Lehr’ –
da der Schlaf schon kam gekrochen, scholl auf einmal leis ein Pochen,
gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte, von der Türe her.
„’s ist Besuch wohl“, murrt’ ich, „was da pocht so knöchern zu mir her –
das allein – nichts weiter mehr.“
Bücher: Lorenz Pauli: “nur wir alle”
Ich habe ein wunderschönes Buch für Kinder im Vorschulalter, oder die unlängst in die Schule kamen, abgeschrieben…
Lorenz Pauli: “nur wir alle”
Kurz bevor die Geschichte begann, langweilte sich der Hirsch noch.
Der Hirsch tritt aus dem Wald.
Der kleine Bach plätschert friedlich wie immer.
Dann macht der Hirsch zwei Schritte auf den Bach zu, und die Geschichte beginnt:
Der Hirsch sieht die Maus. Und er hört sie. Sie pfeift eine Melodie. Dazu balanciert sie über einen Ast, der quer über den Bach liegt. Hin und zurück. Hin und zurück.
Der Hirsch schüttelt den Kopf. Er schüttelt langsam.
Denn das Geweih ist groß und schwer.
Schließlich fragt er: »Was spielst du da?«
Die Maus ist gerade mitten über dem Bach und mitten in der Melodie.
»Ich spiele nicht! Ich mache meine Geschicklichkeitsübungen.«
»Oh!« sagt der Hirsch. »Damit dir nicht mehr so langweilig ist, übe ich mit.
Einfach ich mit dir. Das ist besser als du mit dir.«
Die Maus fällt vor Lachen fast vom Ast:
»Sag mal: Steckt dein Geweih so tief im Hirn, dass deine Gedanken nicht daran vorbeikommen?
Du bist viel zu groß für diesen Ast. Das schaffst du nie!«
Der Hirsch schnaubt:
»Ist dir die Fantasie in den Bach gefallen und davongeschwommen? Wir ändern die Übung etwas ab.
Jetzt heißt sie ‚Trockene-Füße-Behalten‘.
Du balancierst, und ich springe über den Bach.«
Noch ist keiner im Bach gelandet …
Das ist für die Geschichte auch besser so.
Der Fisch streckt seinen Kopf aus dem Wasser und schaut dem Treiben zu.
Er schwänzelt hin und her und schließlich sagt er:
»Eigentlich bin ich ja stumm wie ein Fisch. Aber jetzt muss ich doch fragen: Was spielt ihr?«
Maus und Hirsch rufen gleichzeitig:
»Das ist kein Spiel. Das ist unser Training! Das ‚Trockene-Füße-Behalten’-Training.«
Der Fisch nickt.
»Oh! Darf ich bitte mitmachen?«
Die Maus und der Hirsch lachen sich schief: »Du hast nur deshalb keine nassen Füße,
weil du gar keine Füße hast.
Du! Kannst! Nicht! Mittrainieren!«
Unbemerkt fließt eine Fischträne ins Wasser.
»Und wenn wir zusammen etwas anderes machen? Eine Expedition? Wir könnten gemeinsam herausfinden, wohin der Bach fließt. Nur wir drei …«
Die Maus schüttelt den Kopf:
»Wir haben keine Zeit. Wir trainieren. So ist das.«
Der Hirsch schaut den Bach entlang und sagt nachdenklich:
»Das habe ich mich auch schon oft gefragt: Wohin geht wohl dieser Bach? Fisch, ich komme mit auf diese Expedition.«
Die Maus wird laut:
»Was?!? Du wolltest mit mir trainieren und ich habe es dir erlaubt. Und jetzt lässt du mich sitzen? Hast wohl gemerkt, dass ich besser über den Bach komme als du, du lahmer Hüpfer!«
Der Hirsch seufzt:
»Ich möchte mit dem Fisch auf die Expedition gehen, aber ich möchte auch mit dir zusammen sein. Komm doch mit uns, Maus. Du darfst in meinem Geweih weiter trainieren. Nur wir drei…«
Die Maus nickt. Sie klettert ins Hirschgeweih.
Das ist für die Geschichte auch besser so.
Sie turnen, schwimmen und gehen los.
Was jetzt passiert, passiert eigentlich nur am Rand der Geschichte:
Die Elster kommt. Sie landet vor den Hufen des Hirschs.
»Rechtsumkehrt! Wir drehen um! Wir suchen jetzt nicht mehr das Ende, wir suchen den glitzernden Anfang des Baches. Ich gehe voraus.«
Der Hirsch staunt:
»Die Elster hat nicht mal ‚Hallo‘ gesagt. Und jetzt tut sie, als wäre sie unser Chef. Wir brauchen gar keinen Chef! Wir sind ein Team.«
»Braucht ihr doch! Los geht’s!«, kräht die Elster und marschiert den Bach entlang aufwärts.
Ob sie überhaupt merkt, dass die anderen stehen bleiben und ihr nur nachschauen?
»Tschüss, Chef!«, piepst die Maus fröhlich.
Der Hirsch grinst: »Die ist ihr eigener Chef.«
Die Elster bleibt alleine.
Vielleicht klappt es in der nächsten Geschichte.
Sie machen sich wieder auf ihren Weg.
Plötzlich bleibt der Hirsch stehen:
»Dort! Dort sitzt ein fremdes Viech am Wasser. Zottiges Fell, dunkle Gestalt, lang und dünn … gefährlich, sehr gefährlich! Man sieht sofort: Es ist böse, hinterhältig, heimtückisch, fies und darüber hinaus noch gemein.«
Aber das Tier scheint sehr gute Ohren zu haben:
»Was bin ich? Ich warne dich. Wenn du solche Sachen über mich erzählst, beiß ich dich ins Bein!«
»Seht ihr?«, schnaubt der Hirsch, »ich hab‘s ja gesagt.«
Das unbekannte Tier kommt näher. Der Fisch taucht unter, die Maus versucht, wie ein Stück Geweih auszusehen, und der Hirsch hält nach einem Fluchtweg Ausschau.
Aus der Nähe betrachtet sieht das Tier weniger gefährlich aus.
Es knurrt: „Ich bin ein Erdmännchen. Mach dich jetzt bloß nicht lustig über meinen Namen. Das rat ich dir. Ihr habt Glück, dass ich euch waren kann: Dort drüben wohnt ein Bär.
Der ist groß, dick, faul und unberechenbar. Ich zeig euch den Weg, wie ihr an ihm vorbeikommt. Weiter drüben beim Hügel können wir dann weiterspielen. Nur wir vier.“
„Wir spielen nicht. Wir sind auf einer wichtigen Expedition zum Ende des Baches.
Wir wollen gar nicht zum Hügel…“
Das Erdmännchen regt sich auf:
„Begreift ihr denn nicht? Ein Bär! Ihr macht eine Expedition in den Bauch eines Bären!
Wir müssen die gefährliche Stelle umgehen.“
Der Hirsch versucht es nochmals:
„Wir können nicht vom Bach weggehen. Der Fisch ist schlecht zu Fuß. Und wir bleiben beim Fisch. Leite den Bach so um, dass er zum Hügel fließt, oder vergiss es.“
Das Erdmännchen nimmt einen Eimer. Es schöpft Wasser und fischt den Fisch aus dem Bach.
„Hopp! So viel Bach muss genügen.“
„Na ja…“, denkt der Fisch.
„Gut, haben wir den Hirsch im Team“, denkt die Maus.
„Muss das sein?“, fragt sich der Hirsch.
Der Fisch ist ja eigentlich stumm.
Aber auf halber Strecke meldet er sich zum zweiten Mal in dieser Geschichte zu Wort:
„Wenn ich etwas sagen dürfte…“
„Pssst!“, befiehlt das Erdmännchen.
„Wenn ich dennoch etwas sagen dürfte…“, beginnt der Fisch wieder.
„Pssst“, machen Hirsch, Maus und Erdmännchen.
„Ich habe nasse Hufe“, sagt der Hirsch.
„Pssst“, machen Maus und Erdmännchen.
Dann sieht die Maus, was los ist: Der Eimer hat einen Spalt.
Der Fisch hat kaum noch Wasser.
Sie sind schon zu weit weg vom Bach, um den Fisch dorthin zurückzutragen.
Und auch gemeinsam können sie den Spalt im Eimer schlecht abdichten. Es tropft unaufhörlich. Der Fisch zuckt voller Angst im kleinen Rest.
„Oje“, sagt die Maus.
„Wir können nichts tun“, sagt der Hirsch.
„Tut mir leid“, sagt das Erdmännchen.
Ausgerechnet jetzt kommt der Bär.
Er hat die vier schon lange beobachtet.
Nun setzt er sich in Bewegung.
Schnell kommt er näher. Die anderen merken nichts! Sie schauen in den Eimer und sind ratlos.
Vielleicht hätte die Zeit noch gereicht, um den Eimer fallen zu lassen und davonzurennen.
Dann wäre die Geschichte anders verlaufen.
Aber sie stehen da und schauen mit großen Augen dem zuckenden Fisch in seiner kleinen Pfütze zu.
Der Bär bremst ab und kommt bei der Gruppe zum Stehen.
Er reißt den Eimer an sich und…
…leert ihn in sein großes Maul.
„Nein!“, ruft der Fisch.
„Nein!“, rufen Erdmännchen, Maus und Hirsch.
Aber der Bär grinst mit vollem Maul.
Der Bär setzt sich wieder in Bewegung.
Die anderen jagen ihm hinterher.
Beim Bach bremst der Bär ab.
Er spuckt den Fisch in die Mitte des Baches und brummt zufrieden:
„Gerade noch rechtzeitig.
Fische sollten nicht wandern gehen.
Ich habe euch beobachtet seit dem Anfang der Geschichte.
Schön, dass ihr alle mich besuchen wollt.
Kommt, wir spielen!“
Die Maus nickt.
„Ach ja.
Spielen.
Nur wir alle.
Das wäre ja auch mal was…“
Noch lange nach dem Ende der Geschichte hätte der Fisch sich gern beim Bären bedankt.
Aber die ganze Aufregung hatte ihm gründlich die Sprache verschlagen.
Bücher, Fotografie, Fussball: Martin Andersen “Can’t smile without you”