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Fussball: Ein spektakuläres, aber illusionäres Fußballspiel um den Uckermark-Sommerpokal 2021
Das Großvater-Enkel-Gespann lässt seiner manchmal überbordenden Fantasie ihren freien Lauf…
Seit ca. fünf Wochen plant Jonathan ein großes Fußballspiel in Großvaters Heimat: Der Sommerpokal Uckermark 2021. Auf dem Dorfbolzplatz im Schmachtenhagen will er mit einem von ihm zusammengestellten Team gegen eins von Opa spielen. Am 21. August dieses Jahres führt er als Kapitän seine Mannschaft auf den Rasen. Nach immerwährenden Umstellungen im Kader stehen z. B. solche Größen wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Manuel Neuer, Robert Lewandowski, Toni Kroos, Erling Haaland, Joshua Kimmich für seine Elf einem bunten Haufen gegenüber, den Opa nominierte: vornehmlich Alte-Herren-Fußballer von Humboldt. So laufen u. a. Kimme, Micha Steinhöfel, Mike Bracklow, Zico Ziemer, Fiete, Steini, Flachi und Petzi auf. Immer wieder will Joni Prognosen zum Spielausgang erfahren und freut sich diebisch, wenn der Großvater sich totlacht: „Das wird das höchste Ergebnis in der Geschichte des Fußballsports, ich glaube, das Spiel geht zwei Millionen zu null aus!“
Nach tage-, wochenlangen Überlegungen, ewigen Korrekturen und Ergänzungen wurden Ersatzspieler gefunden, Trainer vorgeschlagen (Wolfgang von Rotation und Leuchtturm von Humboldt), ein auf einem Hochsitz thronenden Schiedsrichter und Linienrichter benannt: Klaus, Ilona, Rosi und Jonis Oma, die sogar mit einem Stuhl bedacht wurde. Es gibt selbstverständlich einen Masseur – Manne. Jede Mannschaft hat einen Arzt – Moritz Uhlig und Henning Ohnesorge. Balljungs erscheinen nicht erforderlich – der Platz liegt in einer Senke – der Ball rollt von selbst aufs Grasgeviert zurück. Die Kontrahenten finden Maskottchen, jeweils ein Tier, das in der Uckermark lebt (für das ein Tierpfleger verantwortlich zeichnet), und ein „Stofftier“. In Jonis Team ist das ein Igel und Bowser (eine Computerspielfigur aus der Super-Mario-Reihe), in Opas Team ein Mäusebussard und Ritter Keule vom 1. FC Union. Unklar ist noch, welche Schlachtrufe gebrüllt werden sollen und wer die Nationalhymne singt. Beide Mannschaften können zwölf namentlich benannte Zuschauer ihrer Wahl einladen, die kein Eintrittsgeld zu bezahlen brauchen. (Selbstverantwortlich sollen diese Sonnenöl und -schirme mitbringen.) Ei
n Arbeitskollege Papas ist für Essen und Trinken verantwortlich, wichtig sind die Sportgetränke. Er muss auch für leere Getränkekisten sorgen, „denn für das Leergut bekommen wir ja Flaschenpfand zurück.“ Er muss auch die VIP-Gäste betreuen. „Die sollen 100 Euro bezahlen und haben einen Diener, der bringt ihnen eine Bockwurst und Jever Bier.“
Fussball, Mattscheibe: Digitalisierung im Fußball
Fussball: Sehnsucht nach der Bolzerei – nicht nur wir darben…
Falko Hennig ist ein Berliner Bühnenkünstler (Reformbühne Heim & Welt), Schriftsteller (Radio Hochsee), interessiert sich für die Arbeit von Walter Kempowski, gründete die Charles-Bukowski-Gesellschaft, ist auf diversen Lesebühnen aktiv und verteidigt in der Deutschen Autorenfußballnationalmannschaft (Autonama) hinten rechts. (Trainingsplatz: Bero Mitte in der Kleinen Hamburger Straße)
Fussball: Humboldts Heimat
Für die in letzter Zeit zur Humboldt-Gemeinschaft gestoßenen Sportfreunde habe ich mal ein paar Aufnahmen vom 1950 erbauten Walter-Ulbricht-Stadion – später: Stadion der Weltjugend – zusammengesucht. Dort trug die famose, am 04.09.1949 gegründete, HSG Humboldt-Uni, unser Gründungsverein, bis 1992 ihre Heimspiele aus… Das in Berlin “Zickenwiese” titulierte Stadion hatte ein Fassungsvermögen von 50000 Zuschauern, die Eintrittskarten waren bei unseren Spielen aber nicht ausverkauft…
Fussball: Fernsehfußballkommentar
Bei der Sky-Übertragung des Bundesliga-Duells Augsburg – Union habe ich einen mir völlig unbekannten Begriff aus dem Reportersprech kennengelernt: “akademischer Elfmeter” (Jonas Friedrich). Ich glaube, diese Benennung ist Blödsinn…
Fussball: Glück im Spiel
Fussball: “Der Tag, an dem der Fußball starb.”
CAMPINO
„HOPE STREET“
Kapitel 12: „Heysel“
Im Mai 1985 hatte ich meinen letzten Arbeitstag in der Psychiatrie. Der Job hatte mir viel bedeutet, ich kam mit den Patienten und Pflegern gut aus und würde Herrn Nordmann vermissen. Dennoch konnte ich das Ende der Dienstzeit und die dadurch neu gewonnene Freiheit kaum erwarten.
Auch die Toten Hosen warteten schon ungeduldig. Uns blieb kaum Zeit zum Proben. Ein paar Tage später startete bereits die Tournee zu unserem zweiten Album Unter falscher Flagge. Wir spielten fast jeden Abend in irgendeiner kleinen Halle irgendwo in Deutschland, doch am Mittwoch, dem 29. Mai, hatten wir spielfrei. Ich überlegte deshalb, nach Brüssel zu reisen, um das Europapokalfinale der Landesmeister zu sehen: Liverpool FC gegen Juventus Turin.
Die Gelegenheit schien günstig, die Reds nach vielen Jahren wieder live erleben zu können. Das Spiel war ausverkauft, doch ich probierte noch über alle möglichen Kontakte, an eine Karte zu kommen. Meine Bemühungen blieben leider erfolglos, und weil ich am nächsten Tag eh wieder ein Konzert hatte, entschied ich mich schweren Herzens, es nicht auch noch in Brüssel auf dem Schwarzmarkt zu versuchen, sondern das Spiel vorm Fernseher zu verfolgen.
Ich wohnte mit unserem ehemaligen Gitarristen Walter November in einem Gartenhäuschen in Flingern. Flingern war zu der Zeit ein etwas rauer Arbeiterstadtteil und das Revier der Toten Hosen. Bis auf Kuddel lebten wir alle dort in einem Radius von zweihundert Metern um den Jet Grill herum. An jenem Abend hatte ich mir vorgenommen, das Spiel allein zu gucken. An Off-Tagen von Tourneen wollte ich ungern Leute sehen, um meine Stimme zu schonen. Ich hatte mir einen „Bauernteller Flinger Boy“ gemacht, eine Eigenkreation von Walter und mir. Sie bestand aus Reis, Erdnüssen und Ketchup und wurde auch von niemand anderem gegessen. Ich setzte mich damit in meinem Zimmer auf das Bett und schaltete gegen 19:30 Uhr den Fernseher an, ein altes dickes Gerät, das auf dem Teppichboden auf einer Spanplatte stand, darunter vier Ziegelsteine. Das war meine Idee von Gemütlichkeit.
Sie endete sofort, als ich auf den Bildschirm blickte. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Der ZDF-Reporter Eberhard Figgemeier versuchte mit brüchiger Stimme zu beschreiben, was geschah: bürgerkriegsähnliche Zustände vor und im Brüsseler Heysel-Stadion. Die Kamera schwenkte über den sommerlichen Abendhimmel und die Fankurven. Aus der Entfernung sah alles nach einem dicht gedrängten, typisch euphorischen Publikum aus. 60 000 Zuschauer waren gekommen. Doch als die Kamera die Bilder näher heranzoomte, zeigte sich die Katastrophe. Hooligans aus Liverpool hatten einen altersschwachen Maschendrahtzaun niedergerissen und den benachbarten Block Z gestürmt, der voll mit Juve-Fans war. Einige hatten sich in den Innenraum gerettet, die meisten aber waren zu einer Mauer gerannt, die dem Ansturm nicht standgehalten hatte und kollabiert war. Menschen wurden eingequetscht oder zu Tode getrampelt, andere erstickten. Doch das hielt die verfeindeten Lager nicht davon ab, immer wieder mit Steinen und Stangen aufeinander loszugehen.
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich sah ein paar (wie sich nachher herausstellte: insgesamt zwölf!) hilflose Polizisten umherirren. Niemand beachtete sie. Sanitäter versuchten, die Verletzten und Toten zu bergen, Absperrgitter wurden zu Bahren umfunktioniert.
Ich war vom Bett heruntergerutscht, stierte in den Fernseher. Tausend Gedanken in meinem Kopf. Waren das wirklich wir? Unsere Jungs aus Liverpool? Wer hatte wen provoziert, und wieso hörten die mit der Gewalt nicht auf?
Diese Fragen haben mich noch lange Zeit aufgewühlt, und erst viele Jahre später bekam ich darauf zumindest ein paar Antworten. Drei Menschen konnten mir schließlich schildern, wie sie die schreckliche Nacht erlebt hatten.
Mein Kumpel Graham, der als Zuschauer im Publikum war, LFC-Mitarbeiter George Sephton und Liverpools ehemaliger Spieler Craig Johnston, der an jenem Abend in der Startformation stand. Ihn hatte ich Anfang der Neunziger bei einem Fußballturnier des Musiksenders MTV kennengelernt. Wir verbrachten den ganzen Abend miteinander, und er erzählte mir ausführlich, wie es ihm damals ergangen war:
„Wir waren in der Kabine und zogen uns gerade um, da hörte ich einen lauten Aufschrei von draußen. Ich rannte sofort los, die Treppen hoch zum Spielerausgang, und beobachtete durch ein Gitter, wie keine sechzig Meter von uns verzweifelte Juve-Fans, gejagt von einer Horde Liverpoolern, zu dieser Mauer flüchteten und sich hochhangelten. Unser Torwart Bruce Grobbelaar war mir gefolgt, und dann sahen wir beide, wie die Mauer unter schrecklichem Getöse nachgab. Aus dem Chaos befreite sich ein blutverschmierter Mann in schwarz-weißem Juventus-Trikot, lief in unsere Richtung und schrie: „Tiere! Tiere!“ Dann tauchten Polizisten in Kampfanzügen am Spielerausgang auf und drängten uns zurück die Treppen runter.“
Viele Menschen im Stadion hatten von alldem nichts sehen können und überhaupt nicht begriffen, was passiert war. Es gab noch keine Handys oder andere Verbindungen nach draußen. So sangen die meisten Fans weiter ihre Lieder und wurden wütend, weil das Spiel nicht angepfiffen wurde. Durchsagen auf Englisch, Italienisch und Französisch wurden gemacht. Kaum jemand reagierte darauf.
Auch George Sephton, seit 1971 Stadionsprecher an der Anfield Road, war an diesem Abend in Heysel: „Ich war als Sprecher für die Liverpool-Fans angereist mit dem Auftrag, sie nach dem Spiel zu informieren, wann und wie das Stadion zu verlassen sei. Ich hielt mich in dem engen Ansagerraum mit den Mikrofonen auf. Wir waren zu dritt, der belgische Stadionsprecher von Heysel, der italienische Ansager für die Juve-Fans und ich. Wir waren alle drei frühzeitig eingetroffen, der Belgier hatte ein kleines Radio dabei, in dem leise Musik lief. Auf einmal riss die Musik ab, und es wurde eine Durchsage gemacht, auf Flämisch oder Französisch, ich konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. Doch daraufhin rief der Belgier: „Oh my God!“ Er deutete runter in Richtung Block Z, wir konnten erkennen, dass dort alle in Aufruhr waren. „Eine Mauer ist eingestürzt!“ Die Stimme im Radio meldete sich wieder, er übersetzte geschockt: „Es heißt, fünf Tote seien geborgen worden!“ Und dann waren es innerhalb von zwanzig Minuten 39 Tote. Die UEFA wies uns an weiterzumachen, als sei alles normal.“
Viel zu spät traf die Verstärkung der Polizei ein, mit Pferden und Schlagstöcken gelang es kurzzeitig, die rivalisierenden Gruppen zu trennen. Nun durchbrachen auf der gegenüberliegenden Seite Hooligans des Juventus-Anhangs die Zäune und liefen angriffsbereit in den Innenraum und auf den Platz, sie wollten wohl ihre Kameraden rächen.
Ich starrte erschüttert in den Fernseher. Es war nicht so, dass Gewalt mir fremd war. Ich kannte das von der Ratinger Straße in der Düsseldorfer Altstadt, aber auch von unseren eigenen Konzerten, gerade zu jener Zeit Anfang der Achtzigerjahre, wo es zu vielen Schlägereien kam. Tränengasbomben wurden im Dunkeln gezündet, Menschen rannten in Panik zu den Ausgängen, und wahrscheinlich war es einfach nur Glück, dass dabei nie etwas Schlimmeres passiert ist. Oft wurden wir als Band in die Auseinandersetzungen mit reingezogen oder griffen ein, sprangen von der Bühne oder prügelten uns draußen auf der Straße. Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendgangs gehören seit den legendären Straßenschlachten zwischen Mods und Rockern Anfang der Sechzigerjahre in England zur Jugendkultur. Punks gegen Teds. Punks gegen Skins. Fußballhools gegen alle.
Jeder junge Mensch, der das einmal erlebt hat, kennt den Adrenalinschub. Die Berauschtheit von der eigenen Stärke in einer Gruppe, der Moment, wenn die Ordnungskraft sich zurückzieht, der kurze Augenblick des Triumphs, der auch nur Teil einer Spirale ist, die nur eine Richtung kennt. Es ist immer das Spiel mit dem Feuer, bis man an den Punkt gerät, an dem die halbstarke Abenteuerlust umschlägt in eine Katastrophe, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das ist der Augenblick, an dem sich alle wünschen, sie wären nie dabei gewesen.
Dieser Moment war im Heysel-Stadion schon seit Stunden überschritten. George erinnert sich: „Nach einer Weile kam ein Typ von der UEFA in unseren Raum und wandte sich an mich. Er sagte: „Wir haben entschieden, dass das Spiel stattfindet. Sie werden jetzt über die Stadionlautsprecher bekannt geben, dass die Partie sofort abgebrochen wird, sollten die Fans versuchen, den Platz zu stürmen.“ Ich sah ihn an und entgegnete: „Sind Sie verrückt? Wenn wir das durchsagen… angenommen ein Team schießt ein Tor, dann werden die gegnerischen Fans genau dies tun, um den Abbruch zu provozieren! Das habe ich in England schon einmal erlebt.“ Der UEFA-Mann bellte mich an: „Sie tun, was ich sage!“ – „Nein!“ Daraufhin drehte er sich um, holte einen Polizisten mit Pistole in den Raum und wiederholte: „Tun Sie, was Ihnen befohlen wird!“ Genau in dem Moment kamen die beiden Mannschaftskapitäne von Juve und Liverpool, Gaetano Scirea und Phil Neal, herein. Sie sollten über die Lautsprecher zu ihren jeweiligen Fans sprechen und sie beruhigen. Wir durften mit keinem Wort erwähnen, dass es Todesopfer gegeben hatte.“
Damals im Fernsehen stürmte ein Polizeiaufgebot noch den italienischen Fanblock, um die dortigen Randalierer einzukesseln, dann beendete das ZDF kurz vor Anpfiff die Übertragung.
Von den Geschehnissen am Boden zerstört, saß ich in meiner Wohnung zwei Autostunden von diesem Krieg entfernt. Brüssel war in diesem Moment ein anderer Planet. Wieso ließ man es zu, dass hier noch Fußball gespielt wurde?
Kein Liverpool-Spieler habe irgendwelche Toten gesehen, erzählte mir Craig Johnson. „Die meisten von uns sind unten in der Kabine geblieben und warteten ab. Es herrschte große Verwirrung, niemand hatte den Überblick. Nur gerüchteweise sickerte durch, dass Menschen gestorben waren. Wir machten uns Sorgen um unsere Freunde und Familien, die oben auf den Tribünen saßen. Die Mannschaften hatten untereinander kaum Kontakt. Es gab keine Absprachen, wie die Situation zu handhaben sei.“
Mein Freund Graham Agg, LFC-Fan seit seiner Kindheit, ist tief verwurzelt in der Liverpooler Fanszene. Er kennt sich aus mit den Konstellationen und Stimmungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen und weiß oft schon vorher, ob eine Auswärtsreise freundlich oder ungemütlich wird. Und so kennt er auch die Vorgeschichte zu dem Abend in Brüssel. Der Ärger habe schon in Rom begonnen, sagt er, im Jahr zuvor, beim Europapokalfinale gegen den AS Rom. Das hatte Liverpool im Elfmeterschießen gewonnen. Als die Liverpooler feiernd das Stadion verließen, wurden sie von den Römern brutal angegriffen. Über dreißig Engländer kamen mit Messer- und Stichwunden ins Krankenhaus.
Wahrscheinlich, so Graham, hätten sich in Belgien einige Schläger für den damaligen Überfall revanchieren wollen.
Juve hat zwar nichts mit dem AS Rom zu tun, aber es war irgendwie eine England-Italien-Sache und wurde auf das Spiel gegen Turin übertragen.
„Den ganzen Tag über hatte sich die Atmosphäre in der Brüsseler Innenstadt aufgeheizt. In Bars und Restaurants und auf den großen Plätzen kam es immer wieder zu Übergriffen. Leuchtraketen wurden hin- und hergeschossen, die Stimmung wurde immer feindlicher. Aber dass es zu so einer Katastrophe kommen würde, hätte niemand ahnen können.
„Ich sehe Grahams Gesicht noch heute die Erschütterung an, wenn er davon spricht. Es war die schwärzeste Nacht des europäischen Fußballs, der Tiefpunkt der an üblen Momenten nicht gerade kurzen Geschichte britischer Hooligans. Als bekennender Liverpool- und England-Anhänger schämte ich mich sehr, so wie alle Reds-Fans. Wir hatten Schuld auf uns geladen, und die wog schwer. Ausgerechnet Liverpool! Die Fans des LFC galten bis dahin in Europa als feierfreudig, aber friedlich. Jahr für Jahr waren sie auf dem Kontinent unterwegs gewesen, und es hatte nie großen Ärger gegeben. Der Schock, die Trauer und die Verbitterung saßen tief, vor allem in Italien und bei Juventus Turin.
Zwanzig Jahre danach war das immer noch deutlich zu spüren, als am 5. April 2005 die beiden Mannschaften im Viertelfinale der Champions League erstmals wieder gegeneinander antraten, diesmal an der Anfield Road. Ich stand an meinem Platz im Stadion, Main Stand, und sah, wie die Liverpool-Fans vor dem Spiel über eine ganze Stadionseite hinweg eine riesige Choreografie ausbreiteten. Mit großen Buchstaben stand da geschrieben: „WE ARE SORRY!“
Daraufhin drehten sich alle im Juve-Block gleichzeitig und geschlossen um und zeigten uns den Rücken.
Noch heute bin ich fassungslos, dass es zu der Tragödie in Brüssel kommen konnte.
Die Veranstalter haben sicherlich katastrophale Fehler gemacht, das Stadion war baufällig und hätte niemals für ein solches Spiel zugelassen werden dürfen.
Korrupte Mitarbeiter des belgischen Fußballverbands hatten Tickets für den gesamten Block Z, direkt neben den Engländern, zu Schwarzmarktpreisen an Italiener verkauft, die dort natürlich niemals hätten stehen dürfen. Ein lächerlicher Maschendrahtzaun war die einzige Trennung von einem Bereich, der eigentlich für neutrale Zuschauer aus Belgien bestimmt war – nun aber vor lauter Juve-Fans aus allen Nähten platzte.
Wie die Spieler es geschafft haben, zum Spiel noch anzutreten und es zu Ende zu bringen, ist mir ein Rätsel. Ob es sinnvoll war, die Partie überhaupt anzupfeifen, fällt mir schwer zu beurteilen. Vielleicht war es nötig, um Zeit zu gewinnen, bis man die Lage unter Kontrolle hatte.
Wenn ich bei der UEFA etwas zu sagen gehabt hätte, wäre mein Vorschlag gewesen: „Wir tun so, als wäre es ein normales Spiel, lassen ein Team absichtlich 1:0 gewinnen und bringen morgen, wenn die Sieger den Pokal zu Ehren der Toten ablehnen, eine gemeinsame Erklärung heraus.“ Dass so etwas nicht geschehen ist, werde ich nie verstehen. Die Art und Weise, wie sich die Juve-Spieler nach dem Schlusspfiff trotz der Toten so ausgelassen über den Pokalsieg freuen konnten, wirkte auf mich verstörend. Die UEFA hat sich schon damals als rückgratlose, korrupte Organisation gezeigt.
An diesem Abend in meinem Zimmer in Flingern beschloss ich, dass ich mit dieser Art Fußball nichts mehr zu tun haben wollte. Eine lange Zeit schaute ich mir kein Match mehr an, weder im Stadion noch im Fernsehen. Die Sache war für mich gelaufen.