U-Bahnen sind Gedankenzüge!
Selten sah ich einen so intensiven Dokumentarfilm!
Grandios! Beeindruckende Bilder und unglaublich intelligente Texte, vortrefflich illustriert von einfühlsamer Musik (Sofa Surfers!). Die Dokumentation (OmU) ist einfach brillant gemacht!
Vielleicht schon pittoreske Beobachtungen in den Zügen und ein Loblied auf die U-Bahn von New York (24 Stunden in Betrieb), Los Angeles, Tokio (lautes Telefonieren ist verboten), Hongkong und Moskau (majestätische Stationen). In der japanischen Hauptstadt drücken “Pusher” Passagiere in die überfüllten Waggons, in denen “Grapscher” ihren sexuellen Perversionen freien Lauf lassen. Eine Linie gilt als Eldorado für häufige rituelle Selbstmorde.
Es werden viele Geschichten erzählt – auch in wunderbar langen Einstellungen.
Ein Großteil der Handlung spielt selbstverständlich im Dunkeln der Untergrundzüge, dazu lässt die oft mystische Musik die Gedanken des Zuschauers mäandern…
Einiges erinnert an die Kinoikonen von Jim Jarmusch: an die Nachtszenen und Hip Hop-Klänge bei Ghost Dog, an die Kamerafahrten bei Down by Law…
Ganz anders als die Antlitze in der Subway-Serie des legendären amerikanischen Fotografen Walker Evans kommen die Gesichter im Film daher, das verwundert kaum: Die Motive stammen nicht aus den Dreißiger Jahren, sondern aus dem Jahr 2012.
Timo Novotny drehte einen modernen Streifen: spektakuläre Ansichten, rasante Schnitte, Zeitraffereinstellungen, dynamische Anschnitte, ungewöhnliche Kameraperspektiven (Weitwinkelaufnahmen aus Bodennähe) korrespondieren immer angenehm mit den inhaltlichen Aussagen.
Dieses Werk sollte man wirklich genießen – auch weil unzählige Denkanstöße geliefert werden.
Ein New Yorker U-Bahn-Poet rezitiert:
“Aus einem grauen Himmel kam ein hellblauer Vogel.
Er setzte sich auf meine Fensterbank, und für einen Moment lang, nicht länger als ein Sonnenstrahl in einer Welt der Zeit, blickten wir einander an.
Dann hob er seine blauen Flügel und kehrte ins Grau zurück.
Ich kämmte mein Haar, putzte meine Zähne.
Ich zog mich an. Danach trank ich meinen Morgentee und ging zur Arbeit.
Als das Grau zu Gelb geworden, und von Gelb in ein sanftes, zartes Braun übergegangen war,
packte ich meine Sachen und ging nach Hause.
Ich wollte nachsehen, ob er abends wiedergekommen war.
Warum? Das kann ich nicht so recht sagen.
Aber vielleicht ist es das, wohin die Einsamkeit führen kann.
Um sich dem Tag zu stellen, braucht man Vertrauen und die Einstellung, weiter machen zu wollen.
Vielleicht kann die Welt des Verstandes die Antriebskraft sein, Gott, oder irgendetwas… Vertrauensvolles!
Doch was auch immer man sagt: Die Existenz in diesem gefahrvollen Leben erfordert Vertrauen!”
Zitiert wird auch Winston Churchill: “Wir formen unsere Gebäude und danach formen unsere Gebäude uns.”