Der Amerikaner W. Eugene Smith (1818-1878) hinterließ ca. 3000 Ausstellungsabzüge, mehrere Hunderttausend Arbeitsabzüge, 1600 Tonbandaufzeichnungen, 25000 Schallplatten, 8000 Bücher, Hunderte von Briefen, unzählige Notizen (insgesamt Material mit einem Gewicht von 20 Tonnen) und 18 Dollar – ein Mythos !
Nach einer schwierigen Jugend arbeitete er nach dem Zweiten Weltkrieg als Fotojournalist für das Life Magazin. Fünfzig Aufträge führten Smith in alle Welt. Er verbrachte immer zu viel Zeit und verbrauchte zu viel Filmmaterial für seine Reportagen als die Zeitschrift, die als treibende Kraft des amerikanischen Journalismus galt, veranschlagte. Jedem Fotoessay gingen umfangreiche Streite mit den Redakteuren voraus. Der Fotograf gab sich nicht damit zufrieden nur seine von allen hochgelobten Negative abzugeben, er wollte bis zum Layout der Veröffentlichung mitwirken.
In seiner späteren Arbeitsperiode bei der Agentur Magnum entstand die sagenhafte Serie über die Stahlarbeitermetropole Pittsburgh (1995). Für den Auftrag (ca. 100 Abzüge) hatte er drei Wochen Zeit. Smith machte sich in dieser Frist mit der Stadt bekannt, drückte nicht einmal auf den Auslöser. Erste Ergebnisse wurden nach zwölf Monaten geliefert, und die Arbeit an diesem Thema dauerte weitere drei Jahre. Es entstanden ungefähr 2000 Prints (später 600 Masterabzüge). Der eigenwillige Kauz schaffte es nicht, diese Herkulesarbeit abzuschließen. Die Magazine Life und Look boten 20000 Dollar (das wären heute ungefähr 95000 Dollar) für die Serie – Smith hatte große finanziellen Probleme… Ende 1958 veröffentlichte Photography’s Annual die Arbeit für 1800 Dollar. Seit 1957 lebte Smith in einem heruntergekommenem Loft in New York, einem nächtlichen Treffpunkt von Jazzmusikern. Aus dem Fenster seiner Wohnung im 4. Stock machte er 20000 Fotos.
Der berühmte Künstler war ein Einzelgänger und Besessener. Er (oder seine Assistenten) saß tagelang ununterbrochen in der Dunkelkammer, um den einen perfekten Abzug zu erarbeiten.
Der Dokumentarfotograf Smith manipulierte teilweise: er stellte Szenen und veränderte Negative.
1968 gab Aperture eine Monografie mit 120 Aufnahmen heraus: “His Photographs and Notes”, und W. Eugene Smith lebte wieder auf. 1971 zeigte das Jüdische Museum in New York eine erfolgreiche Ausstellung mit 642 Bildern unter dem Titel “Let Truth be the Prejudice” (Das Vorurteil lautet Wahrheit). Während der Eröffnung saß der manische Arbeiter in seinem Loft und machte hektisch Abzüge. Unkonventionell benutzte er Rahmen und Passepartouts, die nicht passten – in wilder Anordnung. 1971 reiste Smith mit seiner zweiten Ehefrau, einer Japano-Amerikanerin, nach Japan. Dort erfuhren sie vom Schicksal des Fischerdorfs Minamata, in dem die Bewohner durch mit Quecksilber verseuchte Abfälle vergiftet waren. Es entstand die Ikone der Fotografiegeschichte “Tomoko Uemura in her Bath”, ein viel diskutiertes Meisterwerk von W. Eugene Smith (Bild 2 im Anhang).
Trunksucht, Medikamentenmissbrauch, Schlafverzicht, Armut und Arbeitswut schädigten seine Gesundheit nachhaltig.
Der Jahrhundertkünstler erlitt in einem kleinen Geschäft in Tucson 1978 einen tödlichen Schlaganfall, als er Katzenfutter kaufen wollte.
Sein “Nachlassverwalter” im Centrer for Creative Photography Tucson William S. Johnson meint: “Vielleicht ist sein größtes Meisterwerk nicht eine seiner Fotografien, sondern seine gesamte Karriere.”
(Quelle: Phaidon Verlag: W. Eugene Smith)