“Östlich der Elbe”

 

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Nur, um das gleich mal klarzustellen: Ich bin heute, wie auch früher, alles andere als ein Ost-Rock-Fan! (Wenn ich mich richtig erinnere, gab es Zeiten, da war “Ost-Rock” geradezu ein Schimpfwort.)
Das Buch von Lutz Kerschowski und Andreas Meinecke habe ich mir wegen der Fotos von Ulrich Burchert etwas genauer angesehen. (Den Titel “Östlich der Elbe” finde ich ziemlich unglücklich gewählt.) Die Band Kerschowski begeisterte im FDJ-Studentenklub der Humboldt-Uni. Die Gitarre spielte übrigens Jörg “Wilki” Wilkendorf, den wir neidisch beäugten, da die Mädchen ihn bei Konzerten wegen seiner Schönheit unverschämt anschmachteten.  
In der über 350 Seiten starken Publikation werden unzählige Liedtexte chronologisch sortiert präsentiert, die sich Lutz Kerschowski von Kollegen besorgte. Die Schwarzweißfotos Ulrich Burchert hatte die Idee, seine Schwarzweißfotos mit Texten zu verbinden. Sie spiegeln das Geschehen um die Konzerte in der Zeit von 1970 bis 2018. Dabei ist zu bemerken, dass der Druck auf sehr schönem Papier (Luxoart Samt), auch wegen der klaren Gestaltung und der verwendeten Typografie (T-Star) sehr angenehm wirkt.   
DDR-Musik war in vielen Fällen liedhaft, sehr textbetont. Und die Musiker hatten wohl fast alle eine solide fachliche Ausbildung. 
 
Zitat Kurt Demmler: “Ostrocker sind wie die Sonne, gehn im Osten auf und im Westen unter.”
 
Hier ein paar großartige Texte:
Bettina Wegner: “Kinder”

“Sind so kleine Hände, winz`ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füsse, mit so kleinen Zeh`n.
Darf man nie drauf treten, könn`sie sonst nicht geh`n.
Sind so kleine Ohren, scharf und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.
Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.
Sind so klare Augen, die noch alles seh`n.
Darf man nie verbinden, könn`n sie nichts versteh`n.
Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen, geh`n kaputt dabei.
Ist so`n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.
Grade klare Menschen, wär`n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat, hab`n wir schon zuviel.”

Bettina Wegner: “Wenn alle Menschen dieser Erde”
(nach Peter Härtling)
“Wenn alle Menschen dieser Erde
nicht ewig wie die Hammelherde
sich in ihr Schicksal brav ergäben
statt endlich wirklich loszuleben
Wenn Feigheit unser Tun nicht lähmte
kein Mensch sich seiner Schwäche schämte
wenn wir einander Wärme schenkten
und den, der anders ist, nicht kränkten
Wenn alle Menschen Bäume pflanzten
Kanonen, Panzer jetzt zertanzten
Wenns keine Armen gäb, noch Reiche
und alle teilten wir das Gleiche
Wenn Eltern wieder Kinder wären
und lernen würden, statt belehren
Wenn wir einst Staat und Macht nicht kennen
kann man die Freiheit Freiheit nennen
Wenn wir dies Leben einmal fänden
ganz fest uns hielten bei den Händen
dann hätten unsre Träume Sinn
denn Menschsein wäre ein Beginn”

Gerhard Schöne: “Erwachsen”
“Du glaubst an keine Wunder mehr
Du bist ja so erwachsen
Zum Fliegen ist der Mensch zu schwer,
Nein in der Muschel rauscht kein Meer
Das sind nur Kinderfaxen!
Und sagst du nicht mehr Oh und Ah
Wenn Wunderkerzen funkeln
Kein Märchen geht dir heut noch nah, kein Engel ist mehr für dich da
Du gehst allein im Dunkeln
Du bleibst vor keinem Zirkus stehn
Den Clown kannst du entbehren
Der Fakir mag durch’s Feuer geh’n, der Zaubrer mag durch Wände sehn
Es ist alles zu erklären!
Kein Mozart und kein Mondenschein
Verleitet dich zum Schwärmen
Die Sterne sind aus kaltem Stein,
Der Mensch besteht aus Fleisch und Bein
Und Luft in den Gedärmen!
Die Wundertüte ist nun leer
So nüchtern ist dein Leben
Und in der Muschel rauscht das Meer
Ein Stern gibt Zeichen von weit her
Ein Engel regelt den Verkehr
Der Clown tanzt mit dem Zottelbär
Verliebte schweben hin und her
Und Wunder mehr und Wunder mehr
– Und du stehst blind daneben!”
 

Pankow: “Langeweile”
“Den alten Krimi so oft gelesen
Rohe Spaghetti zu viel gekaut
Zu lange geschlafen
Zu oft gebadet
Und vor allem zu viel Fernsehen geschaut
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert
Zu viele Frauen nur angeseh’n
Zu viel nur mit mir rumgespielt
Zu viel gesoffen
Zu viel geredet
Zu viele Nächte, wo nichts passiert
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert
Das selbe Land zu lange geseh’n
Die selbe Sprache zu lange gehört
Zu lange gewartet
Zu lange gehofft
Zu lange die alten Männer verehrt
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert
Ich bin rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Zu viel rumgerannt
Ist doch nichts passiert”

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