Erich-Kästner-Gedicht zur Weihnachtszeit

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Brief an den Weihnachtsmann

 

Lieber, guter Weihnachtsmann,

weißt du nicht, wie’s um uns steht?

Schau dir mal den Globus an.

Da hat einer dran gedreht.

Alle stehn herum und klagen.

Alle blicken traurig drein.

Wer es war, ist schwer zu sagen,

keiner will’s gewesen sein.

Uns ist gar nicht wohl zumute.

Kommen sollst du, aber bloß

mit dem Stock und mit der Rute.

(Und nimm beide ziemlich groß.)

Breite deine goldenen Flügel

aus, und komm zu uns herab.

Dann verteile deine Prügel.

Aber bitte nicht zu knapp.

Lege die Industriellen

kurz entschlossen übers Knie.

Und wenn sie sich harmlos stellen,

glaube mir, so lügen sie.

Ziehe denen, die regieren,

bitteschön, die Hosen stramm.

Wenn sie heulen und sich zieren,

zeige ihnen ihr Programm.

Komm, und zeige dich erbötig,

und verhau sie, dass es raucht!

Denn sie haben’s bitter nötig.

Und sie hätten’s längst gebraucht.

Komm, erlös uns von der Plage,

weil ein Mensch das gar nicht kann.

Ach, das wären Feiertage,

lieber, guter Weihnachtsmann!

Erich Kästner, 1930

(gekürzte Fassung)