Jochen-Martin Gutsch: “Spiel den Ball ab, du Arsch!”
(Berliner Zeitung 12./13.08.2017)
Als ich hörte, dass der Fußballspieler Neymar für sagenhafte 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris wechselt, schrieb ich im schummrigen Nachtlicht meiner Schreibtischlampe sofort einen Brief an den Präsidenten des Fußballvereins Paris St. Germain:
„Sehr geehrter Herr Nasser Al-Khelafi, ich möchte mich kurz vorstellen: Mein Name ist Jochen Gutsch, und ich bin ein Fußballspieler aus Deutschland. Ich spiele im rechten Mittelfeld, kann aber auch links spielen. Oder zentral. Ich bin im besten Sinne ein polyvalenter Spieler, der oft die Schnittstelle sucht, aber selten findet. Zu meinen Stärken zähle ich das Dribbling, weshalb ich in der Mannschaft respektvoll „Spiel-den-Ball-ab-du-Arsch!” genannt werde.
Meine Mannschaft, das ist die SG Medizin Friedrichshain, ein schillernder Hauptstadtklub, den Experten als „schlafenden Riesen” bezeichnen. Momentan spielen wir, aufgrund struktureller Engpässe im Management, eher unterklassig – und damit meine ich die neunte Liga. Oder ist es die zehnte? Unsere Mannschaft ist etwas in die Jahre gekommen. Wir spielen viel mit Auge, aber auch die Sehkraft, da möchte ich ehrlich sein, war schon mal besser. Unser Altersschnitt liegt bei 47,8 Jahren – Tendenz steigend. Und hier nun, sehr geehrter Herr Nasser Al-Gaddafi, kommen Sie ins Spiel: Hätten Sie Lust, in unsere Mannschaft zu investieren? Mit uns den DFB-Pokal zu gewinnen? Die Champions-League?
Zurzeit lese ich das wunderbare Buch „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten”. Darin gewinnt eine Dorfmannschaft sensationell den englischen FA-Cup. Diese Geschichte gibt mir den Mut und die Inspiration Ihnen zu schreiben, lieber Herr Nasser Al-Arafat.
Ich weiß, dass Investoren im Fußball, besonders die arabischen und chinesischen, oft abgrundtief gehasst werden. Wegen Fairplay und dieser komischen Sachen. Bei uns bräuchten Sie sich diesbezüglich nicht zu sorgen! Wir lieben ihr öliges Geld, vor allem, wenn wir etwas davon abhaben könnten.Es muss nicht viel sein. Neymar, das habe ich gelesen, verdient bei Ihnen künftig 82 000 Euro netto am Tag. Wenn Neymar vielleicht zu unseren Gunsten auf eine einzige Tagesgage verzichten könnte?
Unser alter Trikotsponsor, ein Reisebüro, hat dicht gemacht. Es wäre also wieder Platz auf unserer Brust, wobei ich hinzufügen möchte, dass es eher der Bauch ist, der als attraktive Werbefläche bei uns den meisten Platz bietet.
Vielleicht denken Sie nun, lieber Herr Nasser Al-Geldsakki, dass dies kein kluges Investment sei. Eine Gurkentruppe aus Ost-Berlin. Deshalb möchte ich Ihnen einen zweiten Vorschlag machen: Sie kaufen mich als Spieler. Natürlich bin ich schlechter als Neymar, aber angenommen ich bin 222 Mal schlechter, dann koste ich nur eine Million Ablöse. Bin ich 2220 Mal schlechter, sogar nur 100 000 Euro. Big Schnäppchen, Herr Nasser Al-Schotter. Aber bei allem Respekt vor Neymar: Ich bin nicht 22 200 Mal schlechter!
Vor allem bin ich gut vermarktbar. Sie wechseln mich bei Paris St. Germain in längst entschiedenen Spielen in der 80. Minute ein. Als Typ aus der Kreisliga, der plötzlich neben Neymar spielen darf. Als eine Art „Eddy the Eagle” des Weltfußballs, dem die Herzen zufliegen. Und als wehmütige Reminiszenz daran, was Fußball einst war, bevor Leute wie Sie, lieber Herr Nassar Al-Mammon, den Fußball immer künstlicher und öder machten.
Auf dem Platz bin ich der älteste Profi-Fußballer der Welt. Spitzname: Gandalf, der Graue. Glauben Sie, dass noch jemand ein Neymar-Trikot kauft, wenn er eines von Gandalf haben kann? Ich bin eine Gelddruckmaschine auf zwei Beinen!
Ich hoffe, Ihr geschäftliches Interesse geweckt zu haben. Herzlichst, JM Gutsch
PS: Momentan leide ich an einer entzündeten Ferse. Da ich gesetzlich versichert bin, habe ich erst im September einen Termin beim Orthopäden. Trotzdem komme ich gern zum Medizincheck nach Paris. Eine Bahncard 50 ist in meinem Besitz.”
(Anmerkung 25.08.2017: Der BVB bekommt bis zu 147 Mill. € für Dembelé)