“Winterschlaf” von Bilge Ceylan

Foto: Jabs

Foto: Jabs

Das Filmepos “Winterschlaf” von Bilge Ceylan hat 2014 in Cannes wohl zu Recht die Goldene Palme gewonnen.
Man muss einen wachen Tag erwischen und gute Kondition mitbringen, um dieses epische Leinwandereignis in der Gänze zu erleben. 196 außerordentlich spannende Filmminuten verlangen auch dem wohlwollenden Zuschauer einiges an Konzentration ab. Große Gedanken in schier endlosen, auch philosophischen Dialogen wollen verstanden werden. Beeindruckende Bilder unterstreichen die angenehm langsame Handlung. Das Teleobjektiv bringt die grandiosen Gesichter der alten Männer wirklich nahe, so herrlich faltig gezeichnet vom archaischen Leben in dieser kargen türkischen Landschaft. (Der Regisseur Ceylon ist auch ein international erfolgreicher Fotograf!) Viele Aufnahmen in der Dunkelheit oder bei pittoreskem Schneetreiben in einer Einöde verstärken visuell eine sich ausbreitende atmosphärische Kälte zwischen Hauptfiguren. Eine ständige inhaltliche Reibung zwischen alt und neu korrespondiert mit den räumlichen Gegebenheiten: Der Protagonist nutzt für seine Arbeit ein iBook im spartanisch eingerichteten Haus.
Thematisch geht es auch darum, dass Gutmenschen ihre menschliche Umgebung verzweifeln lassen können. Mitmenschen haben das Gefühl, zu ersticken. Es geht ständig um Schuld.
Die Hauptfigur versteht nicht, dass die Schwester vorgibt, das Böse zulassen zu wollen, um dem Übeltäter das Verwerfliche seiner Tat aufzuzeigen. (Ich übrigens auch nicht.) Am Ende scheint der narzisstische Held diese Welt wegen ihrer Unzulänglichkeiten zu hassen.
Vielleicht ist das Thema dieses von Gefühlen überbordenden Dramas die Frage des Verzeihen- und Nichtverzeihenkönnens.

http://www.spiegel.de/kultur/kino/winterschlaf-film-von-nuri-bilge-ceylan-a-1007422.html

Leave a Reply